Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1903) Goethe ; Theil 1
Entstehung
Seite
237
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Die kranke Schwester Cornelie,

den ehelichen Umgang gehabt und deshalb in un­angenehmer Ehe gelebt. Er rühmt ihre hohe Sittlich­keit und ihren gesunden, scharfen Verstand, dazu kam aberein ernstes, starres, gewissermaassen liebloses Wesen.Meine Schwester war und blieb ein inde­finibles Wesen, das sonderbarste Gemisch von Strenge und Weichheit, von Eigensinn und Nachgiebigkeit. Man hätte von ihr sagen können, sie sei ohne Glaube, Liebe und Hoffnung. Am deutlichsten zeugt der Um­stand, dass auch gegen die Mutter die Tochter ab­geschlossen war, für ihr wunderliches Wesen. Schon in dem 176869 von ihr geführten Tagebuche tritt die Kränklichkeit, die später auch ihren gemüthlichen Zustand so schwer und trübe machte, hervor. Sie klagt wiederholt über ihre Gesundheit, sie werde hypo­chonder, bald heftig und leidenschaftlich, bald stumpf und gleichgiltig. Nach Witkowskis Angaben füge ich noch Folgendes hinzu. Cornelie konnte schlecht rech­nen; ein leichtes Exempel, das ihr der Bruder von Leipzig aus und zum Scherze aufgegeben hatte, musste sie sich vom Lehrer auflösen lassen. Sie war schon frühzeitig häufig krank, jede Erregung erschütterte ihre Gesundheit. Am 18. Geburtstage schreibt Sie, rasch werde ihr weiteres Leben dahingehen,nur mit dem Unterschiede, dass ich noch mehr Leiden als bisher zu ertragen haben werde. Ich sehe sie vor mir. Immer war sie mit sich unzufrieden; sie wollte gern heiter sein, konnte sich aber der Illusion nicht hin­geben. Ihre Verlobung und Verheirathung mit Schlosser scheint sie vorübergehend aus sich herausgehoben,