Teil eines Werkes 
Bd. 4 (1904) Schopenhauer
Entstehung
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VII
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VI

Vorwort zur neuen Ausgabe.

an krankhaft war. Nicht die Erkenntniss der Uebel in der Welt hat ihn dazu gemacht, sondern er hat die Uebel aufgesucht und geschildert, weil er Belege für seine lebensfeindliche Stimmung brauchte. Diese war schon bei dem Knaben vorhanden als schlimmes Erbtheil von väterlicher Seite, und die krankhafte Stim­mung wies seinem Denken die Wege. Der Kunst­ausdruck Pessimismus ist wie andere Kunstausdrücke geeignet, irre zu führen und ganz verschiedene Dinge in Eins zu fassen. Schopenhauer selbst z. B. glaubt, sein Pessimismus und der des Christenthums seien gleicher Art, während es sich doch um grundver­schiedene Dinge handelt. Der Christ verurtheiltdiese Welt, weil sie sündhaft ist, aber er ist durchaus lebens­freundlich, er will ein besseres Leben, aber er will leben, ja ewig leben. Beim pathologischen Pessimis­mus aber ist das Erste ein Grausen vor dem Leben als solchem. Dieses Phänomen ist bisher nicht ge­nügend beachtet worden. Es ist nicht dasselbe wie der Lebensüberdruss, das Taedium vitae, denn hier ist das Gefühl auf das Individuum beschränkt, der Mensch ist nur seines eigenen Lebens satt, und über­dem besteht ein Drängen nach dem Tode, das zum Selbstmorde führt oder wenigstens ihn wünschen lässt. Dort jedoch erscheint nicht das eigene Leben als be­sonders schlimm, sondern das Leben überhaupt, und die Sache bleibt theoretisch, d. h. die Abwendung vom Leben führt nicht zu Selbstmordversuchen. Man könnte also den Zustand als theoretisches Taedium vitae be­zeichnen. Begreiflicherweise können das theoretische