Teil eines Werkes 
Bd. 4 (1904) Schopenhauer
Entstehung
Seite
9
Einzelbild herunterladen

Das Urtheil im Allgemeinen.

KL

offenbar eine partielle Hyperplasie des Gehirns an­zunehmen haben, einen Zustand, der nicht möglich ist, ohne dass zugleich im engeren Sinne krankhafte Störungen beständen. Der danach von vornherein zu erwartende leidenschaftliche Charakter des Mannes giebt sich in den Schriften hinreichend kund, und das Patho­logische tritt in Wunderlichkeiten, Schroffheiten, Maass­losigkeiten zu Tage, zeigt sich besonders als rück­sichtlose Heftigkeit, Misstrauen, liebloses Aburtheilen. Am meisten aber deutet auf pathologische Bedingun­gen die Neigung hin, Alles von der üblen Seite auf­zufassen, vom Traurigen und Bösen stärker als vom Heiteren und Guten ergriffen zu werden, eine Eigen­schaft, die der Verfasser selbst als Dyskolie geschildert hat, und die ihm offenbar von der Jugend an eigen war. Da die Schriften aus allen Lebensaltern, vom 25. bis zum 73. Jahre stammen, so kann man auch ein Urtheil über den Verlauf seines Lebens abgeben. Der Schriftsteller erscheint nicht immer als derselbe, aber die Entwickelung, die er durchmacht, von dem Idealismus und der Schwermuth der Jugend zu dem Realismus und der Behaglichkeit des Alters ist eine allgemein-menschliche; von einer Entwickelung des Pathologischen kann man nicht reden, denn dieses ist vielmehr ein von vornherein gegebener Zustand, nicht ein Prozess. Sein Geist blieb immer klar und scharf, Be­sonnenheit und Kraft zeigen keinen Wechsel, und bis zum Ende erhalten sich die erstaunlichen Fähigkeiten unvermindert. Soll dem Geisteszustande ein Name ge­geben werden, so kann er nur als angeborene Dis­