Teil eines Werkes 
Bd. 4 (1904) Schopenhauer
Entstehung
Seite
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Schopenhauers Person.

einfach ehrlich. Ueberhaupt scheint mir die Ehrlich­keit zu ihren Tugenden gehört zu haben. Gerade aus den Briefen an den Sohn, die uns durch den Mangel an mütterlicher Wärme verletzen, die eher von einer älteren Schwester herzurühren scheinen, gewinnt man den Eindruck, dass sie die Menschen und die Ver­hältnisse nicht nur nüchtern betrachte, sondern auch so denke, wie sie redet. Mutter und Sohn scheinen in dieser Hinsicht einander ähnlich gewesen zu sein, denn sie haben sich offenbar gegen einander offener ausgesprochen, als es für ein angenehmes Familien­Jeben gut ist. Da sie nun in vielen anderen Bezieh­ungen grundverschieden waren, so musste allmählich die Spannung entstehen, die 1814 zum Bruche führte. Freilich ist nicht zu verkennen, dass, wenn man von Schuld reden will, der grössere Theil der Schuld der Mutter zufällt. Ihre kühle Natur gestattete ihr, eine zuverlässige Freundin und eine heitere angenehme Gesellschafterin zu sein, hinderte sie aber in ihrem Be­rufe als Mutter. Gerade die schwer zu begreifende, leicht als düster erscheinende und leidenschaftliche Art des Sohnes hätte ein weiches Mutterherz nöthig ge­habt. Hätte sie einen unbedeutenden Sohn gehabt, so würde sie wahrscheinlich nach Kräften für ihn ge­sorgt haben, und alles wäre ganz gut gegangen. Ar­thurs Art aber verstand sie nicht, die Herbigkeit in dem Sohne des ungeliebten Mannes stiess sie ab, und seinen Werth ahnte sie nicht. Verschiedenheit und Aehnlichkeit erschwerten das Verhältniss. Beide waren nicht nur von einer verblüffenden Ehrlichkeit, sondern