Teil eines Werkes 
Bd. 4 (1904) Schopenhauer
Entstehung
Seite
28
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Schopenhauers Person.

Adelen in Rom, sie schreibt:Ich hatte die Reisebriefe und die Romane ihrer Mutter in meiner Jugend mit besonderer Vorliebe gelesen; auch Adeles Märchen und ein Roman, der, wenn ich nicht irre,Anna hiess, waren mir bekannt, und wenn ich der übertriebenen Gefühlsfeinheit und schattenhaften Schönseligkeit des letzteren auch weit weniger Geschmack hatte abge­winnen können als den viel frischeren und lebens­volleren Dichtungen der Mutter, so hatten meine Ber­liner Freunde doch immer mir grosser Anerkennung auch von der Tochter gesprochen. Ihr Geist, ihre Kenntnisse, ihr meisterhaftes Vorlesen, das selbst Goethe entzückt haben sollte, ihre grosse gesellige Liebens­würdigkeit waren mir vielfach gerühmt worden. Ich hatte Gelegenheit gehabt, verschiedene Arabesken zu bewundern, die sie mit der Scheere aus schwarzem Papier ausgeschnitten hatte. Es waren wirkliche kleine Kunstwerke gewesen, und ich ging in jedem Betracht mit dem besten Vorurtheil und den angenehmsten Er­wartungen zu ihr hin. Auch empfing sie mich so­gleich; aber ich konnte mich weder in ihre Erscheinung, noch in ihre Art und Weise finden.

Man hatte ihres Aeusseren nie gegen mich er­wähnt, ich hatte es mir also günstig gedacht und war daher beim ersten Anblick durch Adeles auffallende Unschönheit ganz betroffen. Sie war sehr gross, mager, ungewöhnlich starkknochig und hatte dünnes gelb­liches Haar, das die breite Stirn und die weit vor­stehenden Backenknochen kaum nothdürftig umgab. Die grossen, wasserblauen Augen waren übermässig