Teil eines Werkes 
Bd. 4 (1904) Schopenhauer
Entstehung
Seite
177
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Ueber das zweite Buch.

so muss er natürlich annehmen, alles sei Wille, und seinem eigenen Wirken entspricht die Wirklichkeit, die Gesammtheit des Wirkens oder die Welt. Thier und Mensch wenden instinctiv den Satz an: Der Wille ist das Ding an sich, und philosophiren trotz Schopen­hauer. Anders ausgedrückt, die natürliche Erkenntniss­weise, als deren Zeugen wir die Sprache haben, und die metaphysische Erkenntnissweise sind dasselbe. Es klingt wunderlich, aber es ist buchstäblich wahr: dass ich an die Seele meines Bruders glaube, das ist eine metaphysische Erkenntniss, denn die ganze Physik würde sie mich nicht finden lassen, sie steckt hinter der Natur, jenseits aller möglichen Erfahrung. Die Metaphysik ist zum Leben nothwendig, im natürlichen wie im geistigen Sinne; der Mensch lebt nicht von Physik allein. Die Metaphysik besteht nicht aus lauter Unwahrscheinlichkeiten, ihre Elemente haben dieselbe Sicherheit wie irgend eine Erkenntniss, denn wovon sind wir fester überzeugt als von der Seele unserer Mitmenschen, ob wir sie gleich nicht sehen, noch ihr Dasein je beweisen können. Auf Glauben ruht Alles, unser instinctives Fürwahrhalten sowohl wie unsere letzte Einsicht.

Der Philosoph geht über den naiven Menschen dadurch hinaus, dass er das, was jener instinctiv und planlos thut, wissenschaftlich betreibt, dass er nach Grundsätzen verfährt und vorsichtig Schritt vor Schritt vorwärts geht. Durch unsere Auseinandersetzungen wird Schopenhauers Verdienst wahrlich nicht geringer, vielmehr gewinnt sein Grundsatz dadurch, dass wir

Möbius, Werke IV,