Teil eines Werkes 
Bd. 4 (1904) Schopenhauer
Entstehung
Seite
211
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Ueber das dritte Buch.

in der Aesthetik nichts zu suchen. Gäbe es aber keinen Geschlechtsunterschied, so möchte die Kunst sehen, wo sie bliebe. Bei seiner Schilderung des Genialen bemerkt Schopenhauer selbst, dass die Künstler leiden­schaftliche Leute seien. Von der Mutter erben sie ein grosses Gehirn, vom Vater aber ein heftiges Tempera­ment, das sich darstelle als ungewöhnliche Energie des Herzens. Das väterliche Erbtheil sei ganz nöthig, damit das Blut schneller durch das Gehirn laufe und es besser ernähre! Auch einen guten Magen müsse das Genie haben. Aber vom Geschlechtstriebe spricht Schopenhauer nicht; dass dieser auf das engste gerade mit der Künstlernatur verknüpft ist, das übersieht er ganz.) Um es einzusehen, braucht man nur daran zu denken, dass das Meiste, was wir in der Natur schön finden, mit dem Geschlechtlichen zusammen­hängt: die Wohlgerüche, die Blumen, die schönen Farben und anderer Schmuck der Thiere, der Gesang der Vögel. Das Erwachen künstlerischer Fähigkeiten fällt mit dem des Geschlechtstriebes zusammen; der Vogel singt im Frühlinge und der Mensch dichtet in seinem Frühlinge. Der Höhepunct künstlerischer Be­stätigung ist zugleich mit dem des geschlechtlichen Lebens. Es ist bekannt, dass im Durchschnitte die Künstler ihre Hauptwerke viel früher schaffen, als etwa Gelehrte, und dass sie durch die Liebe zum Schaffen begeistert werden, was man von den Gelehrten nicht sagen könnte. Zeigt sich bei einem Aelteren ein wirk­

*) Vgl. übrigens 5. 35.