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Bemerkungen über Schopenhauers Lehre.
liches Kunstschaffen, nicht nur eine Anwendung früher erworbener Fertigkeiten, so kann man sicher sein, dass sich auch der Geschlechtstrieb lebhaft erhalten hat. Ein ausserordentlich lehrreiches Beispiel von dem Zusammenhange zwischen Liebe und Kunst ist Goethe, wie ich das a. a. O. gezeigt habe. Auch der blosse Kunstgenuss ist den geschlechtlichen Empfindungen nicht fremd. Die Eunuchen machen sich, soviel wie ich weiss, aus der Kunst nicht viel, und im Allgemeinen hat ein Mensch um so mehr Kunstverlangen, als er Liebesverlangen hat. Nicht nur die Freude an lebhaften Farben, an starken Gerüchen, an süssen Tönen, sondern das ganze sinnliche Element der Kunst weist direct auf Beziehungen zum Geschlechtlichen. Ich weiss nicht, ob diese Betrachtungen, die vielleicht recht weit führen möchten, schon irgendwo gründlich erwogen worden sind. Auf jeden Fall möchte es sich empfehlen, in diesen Dingen mehr die Künstler zu fragen, als die Kunstgelehrten.*)
So unbefriedigend die begriffliche Grundlegung der Aesthetik bei Schopenhauer ist, ebenso geistvoll sind seine Bemerkungen über die einzelnen Künste. Er hat glücklicherweise Unbefangenheit genug, um seine guten Gedanken nicht durch Rücksicht auf seine Leitsätze zu hemmen. Man vergleiche das, was Schopenhauer über die Dichtkunst sagt, mit den allgemeinen Sätzen über die Ideen: nichts passt zusammen, und
*) Ich habe diese Gedanken weiter ausgeführt in„Kunst und Künstler“; Leipzig, J. A. Barth, 1901.