Teil eines Werkes 
Bd. 4 (1904) Schopenhauer
Entstehung
Seite
221
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Ueber die vierte Buch.

pathologische Zustände ausgeschlossen sind. Die Frage ist, ob sich der Charakter nicht in gewissem Grade verändern könne. Ihr gegenüber aber sind Hinweisungen auf Sprichwörter(wer einmal lügt, dem glaubt man nicht), auf dichterische Aussprüche(hab ich des Menschen Kern erst untersucht u. s. w.), auf das Verfahren der Menschenkenner u. s. w. ganz un­genügend. Natürlich giebt auch Schopenhauer zu, dass der Mensch in ähnlichen Lagen nicht immer dasselbe thut, aber dann hat sich der Intellect ver­ändert, die Beurtheilung der Verhältnisse ist anders geworden. Da haben wir wieder die alte Noth; möchte doch Schopenhauer im Einzelfalle sagen können, wo der Wille und der Intellect sich scheiden. Derselbe Schopenhauer, der hier einem metaphysischen Vorur­theile zu Liebe der Erfahrung den Hals bricht, hat so vortrefflich über den Unterschied der Lebensalter ge­schrieben und hat betont, wie verschieden der Mensch ist und handelt je nach seinem Alter. Der Geschlechts­trieb gehört doch auch nach Schopenhauer zum Willen; ist ein Mensch, wenn sein Geschlechtstrieb erloschen ist, verändert oder nicht? Eigentlich kann man auch die Pathologie gegen Schopenhauer verwenden, da Gifte und überhaupt Krankheiten alle Grade der Charakterverschlechterung bewirken können, somit die Möglichkeit der Veränderung beweisen. Man wird mir vielleicht sagen, ich möge nicht offene Thüren einrennen, aber es ist doch zu bedenken, dass Scho­penhauers Versicherung, der Character sei unverän­derlich, die er aller Erfahrung zum Trotze immer und