Teil eines Werkes 
Abth. 1 (1862) Handschriften / von F. Lebrecht
Entstehung
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Doch nicht bloss ein Gefühl der Pietät und Dankbarkeit soll dieser Paragraph bei dem Leser in Regung bringen, sondern auch eine Wahrnehmung für die Texteskritik des Talmud ver­anlassen: Chabib nämlich hat in seinem Corpus der Haggada massenhafte Abweichungen von unserm Talmudtexte: seine Les­arten sind in der Regel die bessern, und wie wir gesehen, fliesst sein Text aus spanischen, d. h. gediegnern Handschriften. Um so unverantwortlicher ist es, dass er von allen Herausgebern des Talmud( Jesaja Berlin nur zum kleinen Theile ausgenommen) gänzlich vernachlässigt worden ist. 1)

§. 33.

Letzte Gefahr; Reuchlin .

Während man in Italien den Talmud druckte, und in der Türkei schrieb, drohte ihm in Deutschland von Neuem die Brandfackel. Kaiser Maximilian hatte im Jahre 1509 auf Anstiften des Johann Pfeffercorn Befehl gegeben, den Tal­mud zu verbrennen; da stand Reuchlin zum Schutze des Tal­mud auf und setzte es gegen einen Pfeffer corn, Hoogstraten und deren gefährlichem Anhange, der selbst von der bigotten Schwester des Kaisers unterstützt wurde, durch, dass den Juden die weggenommenen Bücher zurückgegeben wurden. 2) Reuchlin hatte die Wuth der mächtigen Fanatiker durch seine Schutz­schrift( Augenspiegel) auf sich gezogen, und er wäre verloren gewesen, hätte nicht der aufgeklärte Theil der Gelehrten und Edelleute, wie Hutten und Sickingen, sich seiner angenommen. Aus dem grossen Streite der beiden Parteien gingen die vernich­tenden Epistolae obscurorum virorum hervor und die Refor­mation! Luther wurde durch den siegreichen Kampf Reuchlins und seiner Freunde zu seinen Schritten aufgemuntert, und so war der Talmud eben zur Zeit, als ihn ein christlicher Drucker in die weite Welt zu verbreiten im Begriffe stand, indirect Mitveranlasser der grossen Umgestaltung der Kirche.

1) Ein Hauptgrund der Vernachlässigung ist der, dass die Haggada nur als Stieftochter des Talmud- Eifers betrachtet und behandelt wurde, während der Halacha, als der rechten und Lieblingstochter, die opfervollste Sorgfalt gewid­

met wurde.

2) Vgl. G. Friedländer , Beiträge zur Reformationsgeschichte S. 90 ff..