Teil eines Werkes 
Bd. 1 (1958) Gedichte
Entstehung
Seite
185
Einzelbild herunterladen

SCHREI ODER SCHWEIGEN

Weh dir, du Waage! Eine der Schalen ist überlastet mit Grauen und Qualen, fährt in die Hölle, fährt in Gericht, Starre und Tod. So erbarme dich, Leben, hilf, die versunkene Schale zu heben, fülle die andre mit Gegengewicht!

Wollest die arme beladen, begeistern

mit dem, was einzig vermag, sie zu meistern: mit deiner Fülle, lebendiger Geist!

Leg diese Gabe ins leere Gefäße,

zeig ihm die Heimkehr in das Gemäße, wenn es die andre ins Maßlose reißt.

Geist wohnt im Wort, und das Wort hält die Waage so, daß gewaltig im Anfang der Tage

Licht erstrahlte, als Gott sprach:Es sei!

Kleine Waage, dein Stürzen und Steigen, unmenschlich ist es im eisigen Schweigen, unmenschlich auch im verzweifelten Schrei.

Menschliches Wort muß in Ohnmacht vergehen. Nur wenn mit dem unendlichen Wehen

Gottes Hauch es in Vollmacht setzt,

weiß es die Stürze der äußersten Enden

langsam ins mildere Schwanken zu wenden

und in die selige Schwebe zuletzt.

Kleine Waage, dann ist es durchlitten. Zitternde Waage, dann wird deiner Mitten Heimkehr ins Maß aus Zuwenig, Zuviel. Und dieses Rasten gewogener Lasten

und das Verhalten der wilden Gewalten wird deiner Zunge befriedetes Spiel.