Teil eines Werkes 
Bd. 1 (1958) Gedichte
Entstehung
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JENSEIT DER STADT

An diesem Samstag im Herbst, dem Wegbereiter des Sonntags, den der bewahrende Sinn Gräbern und Toten geweiht, der wieein Trutzmal der Dauer in das Vergehen hineinragt, führt mich die Eisenbahn schnell fort aus den Mauern der Stadt. Aber nach freudlosem Halten an kleinen Bahnhofsgebäuden, die wie sinnlos in Moor und braundunkler Einsamkeit stehn, ducken sich schon wie verängstet die Häuser wieder zusammen, laufen in Scharen zuhauf, recken sich auf und sind Stadt. Schnell verlaß ich den Bahnhof. Städtische Menschen und Mauern wandern ein Weilchen noch mit, lassen mich endlich allein. Dünner, schwebender Nebel, so geistert die herbstliche Schwermut. Doch sie entzieht sich dem Blick, meidet den Zwang der Gestalt. Nur im Gezweige des Schlehdorns hängen an äußersten Spitzen schwankend, zum Fallen bereit, Tropfen mit fahlem Geleucht. Da ich auf einsamem Wege langsam dem Kirchdorf mich nahe, das meine Gräber umhegt, bin ich so müde der Stadt. Bauern, Taglöhner, Knechte, denen ich spärlich begegne, bieten einsilbigen Gruß; doch noch im mürrischen Wort kommen die traulichen Laute der frühen Sprache ins Singen, und es fragt mich das Dorf:Na, mien Jung, kummst werr na Huus? Sprache des Dorfs und der Heimat! Es spottet deiner Verächter vornehmes Nasengekräus:Pfui! Dieser Kuhstallgeruch! Warum denn Kuhstallgeruch nur? Es weht mit dem Laut dieser Sprache linde ein Sommerwind her, der sich vor Anbruch der Nacht über gesichelten Schwaden auf fernen, dämmernden Wiesen schwer seine Schwingen mit Fracht lieblicher Düfte belud. Spüren wir nicht in den Klängen auch herbe und kräftige Rüche, wie sie der Juniwind führt, wenn er den graugrünen Staub blühenden Roggens als Wolken über die Felder dahintreibt? Oder duftet im Herbst aus dem umbuschten Versteck im Garteneck über den Weg hin das frischgebackene Schwarzbrot. Alle Gerüche des Dorfs sind in der Sprache vereint. Städtisches Leben fordert die Schärfe grellwacher Sinne, lockert das marternde Band nie dem gesammelten Geist.

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