Man iſt neuerdings, zumahl im ſüdlichen Deutſchland, auf die hie und da noch vorhandenen Gerichtsbücher des J Mittelalters aufmerkſam geworden; je ſeltener Quellen dieſer Art bei uns ſind, deſto mehr verdiente das nachfolgende urtheilsbuch aus der Zeit Churfürſt Albrecht Achilles bekannt gemacht zu werden.
Die Verſchiedenheit der Rechtsverhältniſſe der Mark Brandenburg und des eigentlichen Deutſchlands liegt übri—
gens weniger im gerichtlichen Verfahren, als in der Grundlage, auf der die Befugniß Recht zu ſprechen beruht, in der Rechtsverfaſſung überhaupt. Dieſe Rechtsverfaſſung iſt im eigentlichen Deutſchland durch die Zerſprengung der Herzogthümer gar ſehr verändert worden, wir müſſen den wenigen, an ſich dunkeln Stellen des Sachſenſpiegels nachgehen, welche ſchon die Gloſſe nicht mehr überall richtig verſtand, um zu dem Territorialſtaatsrecht des eilften Jahrhunderts zu gelangen. Eben ſo gibt nur der Sachſenſpiegel Kunde von den älteſten Rechtsverhältniſſen der Mark, die Urkunden beginnen erſt in einem Zeitraum, wo in der Mark alles ſchon ein friedliches Anſehen erlangt hatte, wo das Land ſchon meiſt germaniſirt, folglich die ältere Verfaſſung einer Mark ſchon weſentlich verſchwunden war.
Die deutſche Gerichtsverfaſſung kennt eine durchgängige uralte Trennung zwiſchen höherer und niederer Ge: richtsbarkeit, indem über den Leib, die Ehre und das echte Eigenthum eines vollkommen Freien nur Namens des deut— ſchen Königs, als höchſten Richters, Recht geſprochen werden konnte). Dieſen Unterſchied enthalten ſchon die Ca: pitularien der fränkiſchen Könige**) und er zieht ſich durch das ganze Mittelalter bis auf die neueſte Zeit hindurch, ur— ſprünglich aber beruht er wahrſcheinlich in der heidniſchen Religion der alten Deutſchen. Nur bei der Opferſtätte des höchſten Gottes im Volk konnte der hohe Prieſter Leib und Gut des freien Mannes den Göttern verfallen erklären oder ihm einen Gottesfrieden wirken, nur im Angeſicht dieſes höchſten Gottes oder an den ihm geweihten Stätten voll: führte der Freie den Zweikampf. Auf dieſer Rangordnung der Götter und ihrer Prieſter beruhn auch wohl die Verſchiedenheiten der richterlichen Acht im altdeutſchen Recht, da der Fluch, den der höchſte Prieſter im Namen feines Gottes ausſprach(ſpäter die kaiſerliche Acht) eine weit größere Wirkung hatte, als der Bannfluch der niedern Prieſter, der nur in dem Sprengel wirkte, wo dieſer Gott verehrt wurde. Als Deutſchland chriſtlich wurde ging die höchſte Ge— richtsgewalt des Oberprieſters, ging der Gerichtszwang des höchſten Gottes auf den deutſchen König über“), fortan konnte nur der über den Leib und das Grundſtück des Freien richten, dem er feine Gerichtsgewalt— den Königs: bann— geliehen hatte, wie dies der Sachſenſpiegel gradehin ausſpricht. Nur mit den alten Nationalherzogen der vier großen deutſchen Völkerſtämme hatte es eine beſondre Bewandniß; ihre Gerichtsgewalt war der des Königs
*) Sachsensp. III. 52: Der Kaiſer kann in allen Landen nicht ſein und alle Verbrechen nicht richten zu jeder Zeit, darum leibet er den Fürſten die Grafſchaft u. ſ w. Die niedre Gerichtsbarkeit war daher immer nur ein Ausfluß von der höheren, weshalb der höhere Richter ſiets auch die Befugniſſe des niederen hatte und deſſen Gewalt aufhob, ſobald er ſelbſt zu Gericht ſaß. Uebrigens ſchloß das Richten immer auch ein Beſchützen ein und man muß bei der aälteſten Obrigkeit, wie bei den Richtern der Juden, von jeder Idee einer Gewaltentheilung abſtrahiren.
**) Siehe eine Sammlung der betr. Stellen in Wilken Handb. der deutſchen Hiſtorie p. 116. Der Graf hielt das judieium solemne, wo eriminalis actio und redhibilio terrae vorgebracht werden mußte, der Centenar oder Vicar hielt das judicium quolidianum und iſt daher dabei an verſchiedene Gerichtsſprengel nicht zu denken.
***) Noch in dieſem Augenblick wird in Graubtindten, wo das altdeutſche Gerichtsverfahren ſich faſt ganz erhalten hat, bei peinlichen Gerichten im Namen des Kaiſers Friede geboten, derſelbe Friede, der vor mehr denn tauſent Jahren unter der heiligen Eiche im Namen des höchſten Gottes geboten wurde. Noch führt dort der Blutrichter den weißen Stab, den einſt der Prieſter in der Hand hatte und der als Zepter auf den König übergegangen if.