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Theil 2 (1833)
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letzttes nicht ſchon durch frühere Beſtimmung feſtſtand). Daß aber durch die Majorität ein an ſich nicht vorhandenes Recht beliebig geſchaffen werden könne oder daß die Majorität ſogar die Befugniß habe, altes Necht und die beſte hende Verfaſſung über den Haufen zu werfen, daran dachte damals niemand und wäre eine ſolche unbegrenzte Macht allen Begriffen altdeutſcher Freiheit gänzlich zuwider geweſen.

Merkwürdig iſt es, daß der erſte Act eines eigentlichen Eingreifens einer landesherrlichen Regierungsgewalt die märkiſchen Städte betroffen hat, welche am Ende des funfzehnten Jahrhunderts ſehr herabgekommen waren**). In deſſen traf man keine allgemeine Maßregel, ſondern ging auf die localen Verhaͤltniſſe ein, indem der Churfürſt perſönlich (oder doch durch Commiſſarien) die einzelnen Städte bereiſete) und jeder eine ſ. g. Reformation gab, von denen ich nachſtehend(ro. 12 bis 15 u. a.) einige bisher unbekannte habe abdrucken laſſen, welche mit den ſchon gedruckten von Neuſtadt⸗Eberswalde, Prenzlau und Frankfurt verglichen werden mögen**.

Bemerkenswerth iſt die Urkunde Nro. 7, worin die Erbfolge in die Lehnſch ulzengüter durch Vernehmung der älteſten erfahrnen Edelleute des Landes und andrer rechtskundigen Perſonen conſtatirt wird. Man ſieht, daß man damals auch dem Privatrecht einen ganz andern Begriff unterlegte, als jetzt, indem man nicht beabſichtigte es zu machen, ſondern nur es feſtzuſtellen. In ganz ähnlicher Weiſe fragte im Jahr 1170 Markgraf Otto der Erſte den Großen feines Landes ab, ob Brandenburg die Hauptſtadt deſſelben ſei und ließ Herzog Boleslaus von Schleſien 1249 durch Ausſage kundiger Edelleute die Rechte der Caſtellanei Militſch feſtſtellen). In Pommern wurde im ſechszehnten Jahr­hundert, nach der intreſſanten Erzählung des Bürgermeiſter Saſtrowen+4), durch Vernehmung aller alten Amts haupt­leute, des alten brandenburgiſchen Kanzlers Weinleben u. ſ. w. feſtgeſtellt, daß es in Pommern, Mecklenburg und det Mark Brandenburg Landesbrauch ſei, daß niemand eine neue Wind- oder Waſſermühle anlegen dürfe, er habe denn daz Erlaubniß von ſeiner hohen Obrigkeit. Denn man betrachtete im ganzen Mittelalter das Recht als etwas wirklich Vor­handenes, nicht als etwas nach Willkühr Abzuänderndes, man ſchrieb ihm ein Daſein, kein Sollen oder Werden zu fh; ſchon zu Ende des ſechszehnten Jahrhunderts aber würde man über die Frage, welcher Sohn in ein Lehnfchub zengut zu ſuecediren habe, das römiſche Recht aufgeſchlagen haben und jetzt würde man berathſchlagen, ob es vernünfti­ger ſei, daß der älteſte oder der jüngſte Sohn den Hof erbe oder ob alle Kinder gleich erben müßten. Gewiß iſt daß eine ſo vernünftig als das andre, je nachdem es einmal irgendwo wirklich Rechtens iſt; alle Familienverhältniſſe aber werden zerrüttet und die Achtung vor dem Rechte ſelbſt wird erſchüttert, wenn Ein Gerichtshof bei Fortdauer des Heim falls für die alte bäuerliche Succeſſion entſcheidet, während das Nachbargericht bei völlig gleichen Verhältniſſen für gemeinrechtliche Succeſſion erkennt++.

Die Urkunden Nro. 22, 23 und 28 betreffen die Obergerichtsbarkeit und zeigen wie die Landesherrn auch da, wo ſie die Obergerichte den Communen übergaben, das Recht über Leben und Tod ſich als ein landesfürſ­liches Hoheitsrecht, vorbehielten. Schon bei den erſten Veräußerungen der Obergerichte ſcheint dieſes höchſte Recht übe Leben und Tod ausgenommen geweſen zu fein fh, im ſechszehnten Jahrhundert zogen die Landesherrn dieſes Recht aber allmählig wieder mehr an ſich und duldeten nicht, daß eine Stadt einen Verbrecher ohne ihre Erlaubniß hinrichten

) Die märk. Städte gaben allemal*, die Ritterſchaft /, ö

) Vergleiche was ich daruber in der Einleitung zum erſten Theile dieſes Coder pag. 155. geſagt habe.

* Vergl. Garceus de rebus March. p. 249. ed. Krausii. v. Lancizolle Geſch. des Städteweſens p. 78.

) Fiſchbach Städtebeſchreibung p. 160, Seckt Geſch. von Prenzlau Bd. 2. Wohlbrück Lebus 2. p. 467. un Myliü eorp. const. Bd. 6. 4

I Gerken Fragm. M. Bd. 3. Tſchoppe Stenzel Städteurk. p. 315.

**) Bd. 3. p. 84. feines Lebens.

iD S. Goͤſchel Zerſtreute Blätter. 1832. 8.

ttt) Siehe v. Haxthauſen Agrarverf. von Paderborn p. 227.

TI Urk. v. 1253 bei Tſchoppe u. Stenzel a. a. O. p. 332. Hier wird das Obergericht weggegeben, aber wirklich zur amissio vilae kommt, fo mußte der Landesherr angegangen werden.