Europäische Aufklärung und Haskala 19
als Wirtschaftsfaktor dem Staatswohl und -interesse nutzbar machen wollten und deshalb ihre Anpassung an die christliche Mehrheitsgesellschaft forderten und förderten. In einem noch weit radikaleren Schritt wurden Juden durch die amerikanische und französische Revolution plötzlich als Staatsbürger voll emanzipiert. Aufklärung und politische Gleichberechtigung waren damit nicht mehr Traum und fernes Bedürfnis, sondern wurden zur realen Möglichkeit und sogar Notwendigkeit, sollten die Juden nicht von den Zeitläuften überrollt werden. Die Haskala konnte sich darum im Unterschied zu anderen Aufklärungsbewegungen nicht allmählich entwickeln, der große intellektuelle und soziale Nachholbedarf ebenso wie die äußerlichen Änderungen in Staat und Politik verlangten von den Maskilim eine schnelle Reaktion auf die beschleunigte Modernisierung in Kopf und Alltagswelt.
2) Die Haskala war eine beschleunigte, kurze und darum
radikale Aufklärung. Sie mußte viel in wenig Zeit schaf
fen. Das bewirkte, daß ihre Entwicklung schnell verlief
und die verlangten Änderungen in der jüdischen Welt
nachgerade revolutionär wirken mußten. Im Vergleich zu
den anderen europäischen Aufklärungen bildete die Has
kala keine Aufklärungstradition aus, und sie konnte auch auf keine zurückgreifen. Lediglich die mittelalterlichen jüdischen Philosophen, allen voran Maimonides, in ihren Versuchen einer Vermittlung zwischen jüdischer Religion und rationaler wissenschaftlicher Erkenntnis hatten eine gewisse Vorbildfunktion und dienten innerjüdisch als Berufungsinstanz. 8 Aber angesichts einer Vielzahl von politischen und wissenschaftlichen Neuerungen im 17. und 18. Jahrhundert mußte sich die Haskala ihre Vorbilder in der europäischen Aufklärung, d.h. in der nichtjüdischen Welt, suchen. Dabei sind die Anschlüsse heterogen und vielfältig. Darum werden innerhalb der Haskala fast gleichzeitig und sich überlappend sehr verschiedene weit-