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Die jüdische Aufklärung : Philosophie, Religion, Geschichte / Christoph Schulte
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Europäische Aufklärung und Haskala 21

nité» sind Subjekt und Objekt von Aufklärung. Der Mensch klärt sich selbst kollektiv auf. «The only Science of Mankind is man», schreibt 1733 Alexander Pope. 10 Je- sod bechinat haadam - haadam übersetzt der Maskil Isaak Euchel diesen Satz ins Hebräische der Haskala. 11 «Der Mensch» klärt sich nach diesem Selbstverständnis selbst auf oder er wird von der Elite der Aufklärer aufge­klärt.

Was hingegen die Haskala vor allem will, summiert der jüdische Kantianer Lazarus Bendavid 1793 bündig in drei Worten: «Aufklärung des Juden». 12 Das Singulare tantum «Aufklärung des Juden» schließt bei Bendavid ausdrück­lich alle Juden beider Geschlechter ein. Allerdings muß er im gleichen Atemzug eingestehen, daß längst nicht alle Ju­den aufklärungswillig sind. Jede Aufklärung hat Gegner, auch die jüdische. Aber nur die jüdische Aufklärung hatte Gegner im Judentum selbst und außerhalb desselben unter den Christen. Darum gilt die Forderung nach Aufklärung aller Juden sowohl gegenüber den Juden als auch gegen­über den Christen.

Lazarus Bendavid nennt nicht nur das Ziel der jüdi­schen Aufklärung, er erlaubt sich, mitten in ihrem Voll­zug, auch schon einen historischen Rückblick auf sie: Die «Aufklärung des Juden» begann mit dem Wirken von Moses Mendelssohn in Berlin. Anstatt Talmud zu lernen, haben Mendelssohn und einige andere junge Juden aus seinem Bekannten- und Freundeskreis nachts und neben dem Beruf «ächte Weltweisheit» studiert, 13 also statt des religiösen Lernens profanes Allgemeinwissen, Kenntnisse der verschiedenen Wissenschaften, der Musik, mehrerer Sprachen, der europäischen Literaturen und der Philoso­phie erworben. Nach dem Siebenjährigen Krieg (1756- 1763) hat sich dann, so die Schilderung Bendavids, neben einigem Wohlstand auch die Aufklärung unter den Juden in Preußen rasch verbreitet. 14

Aber Preußen war ihr Umfeld, nicht ihr Horizont. Intel­lektuell wurde die Haskala vom englischen Deismus 15