Europäische Aufklärung und Haskala 23
Seilschaften und Schulgründungen, mit einer eigenen politischen Agenda und inner jüdischen Öffentlichkeit. Erst die Haskala als jüdische Aufklärungsbewegung machte, und das ist ihr Specificum, die breite Aufklärung möglichst aller Juden, des ganzen jüdischen Volkes oder der «jüdischen Nation», zum von Freunden und Gegnern anerkannten Programm. 19
In den Wissenschaften und in der Philosophie gelehrte Juden hatte es im Mittelalter und in der frühen Neuzeit immer gegeben. Aber diese Gelehrsamkeit blieb, für Jahrhunderte exemplarisch formuliert dies Maimonides’ Führer der Unschlüssigen (1190), immer einer Elite von hala- chisch observanten und in der rabbinischen Tradition stehenden Gelehrten Vorbehalten. 20 Die breite Masse der Juden hingegen galt mangels Vernunft als gar nicht erkenntnisfähig und erkenntniswillig. Mit diesem der antiken Philosophie geschuldeten, elitären Vernunft-Modell des jüdischen Mittelalters brach die Haskala. Ihr Vernunftmodell ist das der europäischen Aufklärung: Die Vermögen der Vernunft eignen allen Menschen. Vernunft ist allgemein, sie ist nicht auf wenige beschränkt. Juden sind also, wie alle anderen Menschen auch, erkenntnisfähig, nicht nur eine schmale Elite von Gelehrten und Philosophen. Sind Juden nicht aufgeklärt, so liegt das nicht am prinzipiellen Vernunftmangel, sondern an schlechten äußeren Umständen durch jahrhundertelange judenfeindliche Diskriminierungen, an fehlender profaner Bildung und Erziehung und an der Verblendung durch eine verkrustete religiöse Tradition. Daraus folgt: Aufklärung muß Aufklärung für alle Juden sein. Und diese Aufklärung ist, anders als die mittelalterlichen Gelehrten, nicht mehr von hala- chischer Observanz oder gar vorangehenden rabbinischen Studien ihrer Protagonisten abhängig. Die Maskilim des 18. Jahrhunderts hatten meist noch gute Kenntnisse der rabbinischen Tradition, aber sie waren ihrem Selbstverständnis und ihrer Bildung nach säkulare Gelehrte. In der Haskala machen erstmals seit der Antike nicht mehr