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Die jüdische Aufklärung : Philosophie, Religion, Geschichte / Christoph Schulte
Entstehung
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Europäische Aufklärung und Haskala 23

Seilschaften und Schulgründungen, mit einer eigenen poli­tischen Agenda und inner jüdischen Öffentlichkeit. Erst die Haskala als jüdische Aufklärungsbewegung machte, und das ist ihr Specificum, die breite Aufklärung mög­lichst aller Juden, des ganzen jüdischen Volkes oder der «jüdischen Nation», zum von Freunden und Gegnern an­erkannten Programm. 19

In den Wissenschaften und in der Philosophie gelehrte Juden hatte es im Mittelalter und in der frühen Neuzeit immer gegeben. Aber diese Gelehrsamkeit blieb, für Jahr­hunderte exemplarisch formuliert dies Maimonides Füh­rer der Unschlüssigen (1190), immer einer Elite von hala- chisch observanten und in der rabbinischen Tradition ste­henden Gelehrten Vorbehalten. 20 Die breite Masse der Ju­den hingegen galt mangels Vernunft als gar nicht erkennt­nisfähig und erkenntniswillig. Mit diesem der antiken Philosophie geschuldeten, elitären Vernunft-Modell des jüdischen Mittelalters brach die Haskala. Ihr Vernunftmo­dell ist das der europäischen Aufklärung: Die Vermögen der Vernunft eignen allen Menschen. Vernunft ist allge­mein, sie ist nicht auf wenige beschränkt. Juden sind also, wie alle anderen Menschen auch, erkenntnisfähig, nicht nur eine schmale Elite von Gelehrten und Philosophen. Sind Juden nicht aufgeklärt, so liegt das nicht am prinzi­piellen Vernunftmangel, sondern an schlechten äußeren Umständen durch jahrhundertelange judenfeindliche Dis­kriminierungen, an fehlender profaner Bildung und Er­ziehung und an der Verblendung durch eine verkrustete religiöse Tradition. Daraus folgt: Aufklärung muß Aufklä­rung für alle Juden sein. Und diese Aufklärung ist, anders als die mittelalterlichen Gelehrten, nicht mehr von hala- chischer Observanz oder gar vorangehenden rabbinischen Studien ihrer Protagonisten abhängig. Die Maskilim des 18. Jahrhunderts hatten meist noch gute Kenntnisse der rabbinischen Tradition, aber sie waren ihrem Selbstver­ständnis und ihrer Bildung nach säkulare Gelehrte. In der Haskala machen erstmals seit der Antike nicht mehr