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Die jüdische Aufklärung : Philosophie, Religion, Geschichte / Christoph Schulte
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Europäische Aufklärung und Haskala 25

sehe und deutsche Aufklärung bei allen Unterschieden im Detail die Aufklärung «des Menschen» zum übergeordne­ten Ziel hatten, zielt die Haskala allererst auf die Aufklä­rung der jüdischen Minderheit. Die jüdische Minderheit sollte das erreichen, was zumindest die aufgeklärte Avant­garde der christlichen Mehrheit schon erreicht hatte. Auf­grund dieser Zielsetzung wird ein weiterer Unterschied deutlich:

4) Die Haskala war eine Minoritäten-Aufklärung. Das führte zu einer den Maskilim durchaus bewußten Span­nung zwischen dem universalen Anspruch der majoritären europäischen Aufklärungen nach Aufklärung des Men­schen und dem partikularen Anspruch nach Aufklärung des Juden. Dabei setzt die Haskala einerseits die zeitlich frühere europäische Aufklärung mit deren Forderung nach Aufklärung des Menschen schon voraus. Sie wider­spricht dieser Forderung nicht, sondern unterstützt diese sogar und setzt sie als bekannt voraus. Erst unter der Vor­aussetzung und im Rahmen der universalen Forderung nach Aufklärung aller Menschen macht die Haskala als Avantgarde der jüdischen Minorität die Aufklärung der Juden zu ihrer partikularen Forderung. Namens der Auf­klärung aller Menschen fordert sie die Aufklärung auch der überall in Europa diskriminierten Juden.

Die Juden sind in Europa sogar die erste Minorität, die die majoritären, christlichen oder christlich geprägten Aufklärer damit konfrontiert, daß sich hinter dem univer­salen Anspruch auf Aufklärung des Menschen sehr parti­kulare Gruppen, Nationen, Geschlechterrollen und Reli­gionen verbergen. Der blinde Fleck der emphatischen Forderung nach Aufklärung des Menschen wird von der Haskala ins Bewußtsein gerückt: die Tatsache, daß die eu­ropäische Aufklärung vergessen oder sich verborgen hatte, daß ihr Modell des Menschen der europäische, weiße, ge­bildete, wohlhabende, christliche Mann und Bürger war. Es gibt mit den Juden eine Minderheit, die auf solche Auf-