Europäische Aufklärung und Haskala 25
sehe und deutsche Aufklärung bei allen Unterschieden im Detail die Aufklärung «des Menschen» zum übergeordneten Ziel hatten, zielt die Haskala allererst auf die Aufklärung der jüdischen Minderheit. Die jüdische Minderheit sollte das erreichen, was zumindest die aufgeklärte Avantgarde der christlichen Mehrheit schon erreicht hatte. Aufgrund dieser Zielsetzung wird ein weiterer Unterschied deutlich:
4) Die Haskala war eine Minoritäten-Aufklärung. Das führte zu einer den Maskilim durchaus bewußten Spannung zwischen dem universalen Anspruch der majoritären europäischen Aufklärungen nach Aufklärung des Menschen und dem partikularen Anspruch nach Aufklärung des Juden. Dabei setzt die Haskala einerseits die zeitlich frühere europäische Aufklärung mit deren Forderung nach Aufklärung des Menschen schon voraus. Sie widerspricht dieser Forderung nicht, sondern unterstützt diese sogar und setzt sie als bekannt voraus. Erst unter der Voraussetzung und im Rahmen der universalen Forderung nach Aufklärung aller Menschen macht die Haskala als Avantgarde der jüdischen Minorität die Aufklärung der Juden zu ihrer partikularen Forderung. Namens der Aufklärung aller Menschen fordert sie die Aufklärung auch der überall in Europa diskriminierten Juden.
Die Juden sind in Europa sogar die erste Minorität, die die majoritären, christlichen oder christlich geprägten Aufklärer damit konfrontiert, daß sich hinter dem universalen Anspruch auf Aufklärung des Menschen sehr partikulare Gruppen, Nationen, Geschlechterrollen und Religionen verbergen. Der blinde Fleck der emphatischen Forderung nach Aufklärung des Menschen wird von der Haskala ins Bewußtsein gerückt: die Tatsache, daß die europäische Aufklärung vergessen oder sich verborgen hatte, daß ihr Modell des Menschen der europäische, weiße, gebildete, wohlhabende, christliche Mann und Bürger war. Es gibt mit den Juden eine Minderheit, die auf solche Auf-