Druckschrift 
Die jüdische Aufklärung : Philosophie, Religion, Geschichte / Christoph Schulte
Entstehung
Seite
40
Einzelbild herunterladen

40 Europäische Aufklärung und Haskala

sehen Quellen bewanderter Rabbiner nicht mehr aner­kannt. Der jiddelnde «polnische Rabbiner» und Hausleh­rer wird zur Witzfigur und Karikatur dessen, wovon der Maskil sich lösen will. Ungeprüfter und unbedingter Ge­horsam gegenüber dem Rabbiner und der halachischen Tradition geriet in Widerspruch zum Geist aufgeklärter Kritik. Weder die Autorität der Rabbiner noch die der Halacha hielten dieser Kritik und dem erheblichen sozia­len Druck zur bürgerlichen Akkulturation an die christ­liche Mehrheitsgesellschaft auf Dauer stand.

Zum Eklat kam es 1782 mit der Publikation von Naf- tali Hartwig Wesselys hebräischer Schrift Divrej Schalom VeEmet («Worte des Friedens und der Wahrheit»), 35 die vor aller religiösen Erziehung eine breite Schulbildung jü­discher Kinder in profanen Fächern wie Geographie und Geschichte forderte. Das erste Mal wurde die Schrift eines Maskil von einigen strenggläubigen Rabbinern verbrannt. Diese Rabbiner wurden im Gegenzug von Maskilim wie David Friedländer und Moses Hirschei heftig als Dunkel­männer attackiert. 36 Die Maskilim wollten sich weder von der christlichen Obrigkeit noch von den Rabbinern ihr Handeln und ihren Bildungskanon vorschreiben las­sen. Nach dem Tod des bekannt halacha-treuen Moses Mendelssohn 1786 wurde nicht nur gegen die Rabbiner polemisiert, sondern von jungen Maskilim aus der Gene­ration nach Mendelssohn wie Isaak Euchel, Saul Ascher und Lazarus Bendavid erstmals auch eine Reform der jü­dischen Religion gefordert. Die als veraltetes, erstarrtes Regelwerk betrachtete jüdische Religion sollte den moder­nen Bedingungen angepaßt werden, damit nicht sinnlos gewordene religiöse Gebote der bürgerlichen Verbesserung und Selbstverwirklichung junger Juden in Staat, Beruf und Gesellschaft im Wege stünden. Der Bildungskanon und die Akkulturationsbestrebungen der Haskala, das läßt sich an ihren Schulprogrammen und Kinderbüchern, an Kunst, Mode und Geselligkeitsformen wie Aufklärungsgesell­schaften und Salons ablesen, war bürgerlich.