Europäische Aufklärung und Haskala 41
9) Die Haskala war eine bildungsbürgerliche Aufklärung. Auch das steckte, neben der politischen Emanzipation und der Religionsfreiheit, in dem Begriff der bürgerlichen Verbesserung der Juden. Die Akkulturation der Juden an das deutsche Bildungsbürgertum und der Erfolg dieser Bemühungen sind nicht zu verwechseln mit einer allgemeinen Verbürgerlichung der Juden, die erst im 19. Jahrhundert abgeschlossen wurde. Sie ist auch nicht zu verwechseln mit einer Zugehörigkeit zum Besitzbürgertum, denn die Juden im Preußen des 18. Jahrhunderts lebten groß- teils an der Armutsgrenze. Den rechtlich gesicherten Status des politischen Bürgers erreichten sie erst 1812, als sie durch das Emanzipationsedikt «Einländer und preußische Staatsbürger» wurden. Die Verbürgerlichung der Maski- lim begann zuerst und schon im 18. Jahrhundert mit ihrem Anspruch auf bürgerliche Bildung. Die Kluft zwischen gelungener Akkulturation ans Bildungsbürgertum und gleichzeitiger Verweigerung von vollen Bürgerrechten und sozialer Integration führte im 19. Jahrhundert zur Ausbildung einer jüdischen «subculture» (David Sor- kin) 37 , einer jüdischen Minderheitenkultur innerhalb des deutschen Bürgertums und der bürgerlichen Kultur in Deutschland. Der Kern dieser Entwicklung ist in der Haskala angelegt.
Aber bürgerlich war nicht nur der Bildungskanon der Haskala. Während in England maßgebliche Vertreter der Aufklärung der gentry, dem Landadel, entstammten, und auch in Frankreich zahlreiche Adlige an den Aufklärungsbestrebungen teilnahmen und sie unterstützten, spielte der Adel in der deutschen Aufklärung kaum eine Rolle, es sei denn in Person ganz weniger adliger Förderer. Die deutsche Aufklärung war, Nietzsche hat darauf hingewiesen, 38 eine Aufklärung der Pastoren und Pastorensöhne. Deren Lebenszuschnitt, ihre bürgerlichen Tugendideale und ihre Arbeitsethik, ihre Sparsamkeit und Lustfeindlichkeit, ihr Gehorsam gegenüber gottgewollter Obrigkeit ebenso wie ihre universitäre Ausbildung, ihre Bildungsgüter, ihre Mu-