42 Europäische Aufklärung und Haskala
sikvorlieben und Bibliotheken haben die Mentalität der deutschen Aufklärung entscheidend protestantisch und bürgerlich geprägt.
Da die Haskala in Preußen sich in ständiger, tagtäglicher Konfrontation mit der deutschen Spätaufklärung entwickelte, war sie mit deren bildungsbürgerlichen Idealen und Wertvorstellungen bestens vertraut. Jüdische Akkul- turation hieß dort mentalitätsgeschichtlich Anähnelung ans protestantische Bildungsbürgertum, dessen spezifische «Sittlichkeit» und Geselligkeitsformen. Nirgendwo auf der Welt konnten Juden so viele Christen finden, die Hebräisch verstanden, wie unter den protestantischen Pastoren, zu deren Studium die Lektüre der Heiligen Schrift im Original gehörte. Das gab es nur in der deutschen Aufklä-
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Aber noch in einem weiteren wichtigen Punkt stand die deutsche Pastorenaufklärung der Haskala nahe. Wegen der großen Zahl von protestantischen Theologen und Philosophen in der deutschen Aufklärung war diese, von wenigen Ausnahmen abgesehen, theistisch. Viele aufgeklärte Pastoren und Pastorensöhne waren Theisten mit Hebrä- isch-Kenntnissen, die von religiösen Institutionen und Lehren der Offenbarungsreligionen nichts hielten; radikale Maskilim wie Friedländer, Bendavid oder Ascher waren genau dies auch. 40 Von daher bestand eine Affinität zwischen deutscher Spätaufklärung und Haskala, die im Theismus ihren kleinsten gemeinsamen Nenner hatte. Die deutsche Aufklärung war religionskritisch, aber selten offen religionsfeindlich. Anders als in Frankreich hat es öffentlich materialistisch und atheistisch optierende Aufklärer in der deutschen Aufklärung nicht gegeben. Der französische Materialist Julien Offray de Lamettrie (1709- 1751) fand in seinen letzten Lebensjahren auf Initiative Friedrichs II. an der Berliner Akademie der Wissenschaften Schutz, seine Schriften wie L’homme plante (r 74 8) konnten in Preußen erscheinen. Aber er fand in der deutschen Aufklärung keinen Widerhall und blieb ein französischer