44 Europäische Aufklärung und Haskala
gerlichen Öffentlichkeit, blieben jedoch vom Beamtenstatus ebenso wie vom Militär ausgeschlossen. Seit etwa 1800 bildete sich der Sozialtypus des deutschen Juden heraus, der trotz bleibender Diskriminierung und Judenfeindschaft sich selbst als Deutscher identifiziert, nur noch Deutsch spricht und schreibt, dem eine Vielzahl von Bildungswegen und Berufen offenstehen, für den Religion konfessionalisiert und Privatsache ist und der in Salons, Universitäten, Büchern, Zeitschriften und den schönen Künsten Deutschlands Stimme und Gehör findet. Als universalistische, auf Freiheit, Gleichheit und Bildung der Juden pochende Weltanschauung hat die Haskala gegen Nationalismus und Antisemitismus bis ins 20. Jahrhundert starke Nachwirkungen im deutschen Judentum gehabt. Aber als historische Bewegung hat sie, wie die deutsche Spätaufklärung, am Aufkommen der Romantik und des deutschen Nationalismus ideologisch und kulturell ihre Grenze.
Die Aufklärung aller Juden traf innerjüdisch kaum noch auf Widerstand; sogar die halacha-treuen «orthodoxen», allemal später die neo-orthodoxen Rabbiner wurden deutschsprachige Bildungsbürger, bisweilen mit Universitätsstudium. Der Widerstand gegen eine säkulare Schulbildung jüdischer Kinder war innerhalb von nur zwei Jahrzehnten so vollkommen gebrochen, daß «Emanzipation durch Bildung» entgegen allen antisemitischen Anfeindungen und entgegen fortbestehenden rechtlichen und sozialen Diskriminierungen zu einem erfolgreichen Programm jüdischer Intellektueller in Deutschland werden konnte.
Das Programm von Aufklärung aller Juden und bürgerlicher Verbesserung griff nur noch in Osteuropa und blieb dort aktuell, wo die Macht der strenggläubigen Rabbiner, der Chassidismus und die staatliche Unterdrückung der Juden ungebrochen noch Jahrzehnte fortherrschten: in Rußland, in Galizien und in Ungarn. Im Zarenreich wirkte die Haskala noch bis 1890 weiter, als die anderen