Moses und die Tora 49
Norm jüdischen Lebens kritisch in Frage gestellt und damit auch die Rolle und Position der Rabbiner als berufene Ausleger der Tora und führende intellektuelle Elite des Judentums erschüttert. Untrennbar mit der Bedeutung der Tora verwoben ist die Rolle des Moses, dem sie offenbart wurde und der sie nach rabbinischer Tradition auch aufgeschrieben hat. Der Umgang mit der Figur des Mose ist ein Indikator für den Stellenwert der Tora und umgekehrt. Wurden die Tora und ihre rabbinische Auslegung von den Maskilim kritisch neu betrachtet, so galt dies auch für die Person sowie die religiöse und politische Funktion des Moses, der in der rabbinischen Tradition bis zum 18. Jahrhundert ungefragt als Prophet gegolten hatte.
In dem siebenten der 13 Glaubensartikel des Jigdal, desjenigen Gebets, das die Grundlehren des Judentums zusammenfaßt und sich bis heute in eigentlich jedem jüdischen Gebetbuch, jedem Siddur, findet, heißt es: «Nicht erstand in Israel gleich Mosche noch ein Prophet, der Gottes Herrlichkeit schaute.» Das Jigdal geht zurück auf Maimonides (1135-1Z04) und dessen Ikkarim, also Glaubensgrundsätze, die er in der Einleitung seines Mischna-Kommentars zum 10. Abschnitt des Traktats Sanhedrin aufgestellt hatte. Seine dichterische Form, 13 Verse mit dem Endreim -to, erhielt es um das Jahr 1300 in Rom. Zuerst in einem Siddur gedruckt findet sich das Jigdal in Krakau im Jahre 1578. Im aschkenasischen Judentum wird es seit Jahrhunderten und bis heute täglich zu Anfang des Morgengebets gebetet. 41
Der siebente Glaubensartikel des Jigdal ist deswegen für die Auffassung von Moses im Judentum so wichtig, weil in ihm die bei Maimonides gleichsam nur <kanoni- sierte> Lehre des rabbinischen Judentums von Moses als Propheten ausgesprochen ist und alltäglich gebetet wird. Moses ist für das rabbinische Judentum bis heute: Prophet. Er gilt als der wichtigste aller Propheten, weil allein er Gott geschaut hat, wie es schon in der Tora heißt: «Es