50 Moses und die Tora
erstand nie wieder in Israel ein Prophet wie Mose, der den Herrn von Angesicht zu Angesicht erkannte.» (Deut. 34,io) In der Tora wird indessen noch manches andere von Moses gesagt. Doch ist die zentrale rabbinische Lehrmeinung, daß kein größerer Prophet in Israel erstand als Mose. Man definiert Moses geradeheraus als Propheten. Prophet zu sein ist Moses’ bei weitem wichtigstes Attribut im rabbinischen Judentum. Um so erstaunlicher ist es, daß die jüdischen Aufklärer des 18. Jahrhunderts dieses Attribut geradezu ostentativ meiden und die Moses-Figur in verschiedener Weise neu bestimmen. Die jüdische Aufklärung des 18. Jahrhunderts beruft sich sonst häufig auf Maimonides als ihr Vorbild und den Inbegriff der mittelalterlichen jüdischen Aufklärung. 42 Aber in diesem Punkt fehlt ihr die Gemeinsamkeit mit dem mittelalterlichen Aufklärer Maimonides. Sowohl die Figur des Moses als auch, im Gefolge, die Auffassung von der Tora ändern sich in der modernen jüdischen Aufklärung radikal.
i. Prophet: Maimonides
Für Maimonides unterscheidet sich die Figur des Mose als Prophet von allen anderen Propheten in vier Punkten: i. Während die anderen Propheten ihre Offenbarungen im Traume oder in der Vision empfangen, empfängt sie Mose bei klarem Bewußtsein in wachem Zustand. 2. Die anderen Propheten empfangen ihre Offenbarungen mittelbar durch einen Engel, Moses unmittelbar von Gott; daher sind seine Weissagungen nicht figürlich, nicht im Bilde und Gleichnis, sondern in vollster Deutlichkeit und Bestimmtheit zu verstehen. 3. Die anderen Propheten geraten, sobald sie die Inspiration empfangen, in einen Zustand der Angst und Bestürzung, Mose aber bleibt als ein damit Vertrauter in ungestörtem seelischem Gleichgewicht. 4. Die übrigen Propheten besitzen die Prophetengabe nicht zu jeder Zeit, Mose aber immer. 43