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Die jüdische Aufklärung : Philosophie, Religion, Geschichte / Christoph Schulte
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51
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Prophet: Maimonides 51

Moses ist ohnehin gegenüber allen anderen Propheten dadurch hervorgehoben, daß ihm und keinem anderen die Tora und damit die unwandelbaren 613 Gebote und Ver­bote Gottes für das jüdische Volk geoffenbart wurden. Ihn unterscheidet jedoch ferner, daß dies bei klarem Bewußt­sein und in wachem Zustand geschah, also unter den Er­kenntnisbedingungen eines Philosophen, nicht eines Träu­mers oder Visionärs. Maimonides widmet viele Kapitel seines 1190 publizierten philosophischen Hauptwerks More Nevuchim («Führer der Unschlüssigen», bes. z. Teil, Kap. 35-47) der Hervorhebung der Sonderrolle des Moses sozusagen als <Prophet> der Tora, sowie andererseits der Abwertung und Abwehr aller übrigen Propheten und Pro­phetien, die er des Anthropomorphismus, der Magie, der Träumerei oder der unwahren und philosophisch unhalt­baren Visionen zeiht. Vor allem der Messianismus in den Schriften vieler Propheten, von dem Maimonides so wenig hält, daß er ihn in seinen philosophischen Schriften über­haupt nicht würdigt und in seinen rabbinischen Schriften und Briefen möglichst zurückdrängt, 44 kann so implizit als Träumerei abgetan werden, denn im Pentateuch und bei Moses, also unter rationalen Erkenntnisbedingungen, kommt der Messias nicht vor. Dieses fast totale Zurück­drängen, wenn nicht sogar die Bekämpfung des Messianis­mus teilt die jüdische Aufklärung des 18. Jahrhunderts mit Maimonides. Erst am Ende des 19. und besonders im 20. Jahrhundert spielt der Messianismus bei jüdischen Denkern wie Moses Hess, Hermann Cohen, Walter Benja­min oder Ernst Bloch überhaupt wieder eine Rolle. 45

Maimonides unterscheidet jedoch die Prophetie des Mose nicht nur von derjenigen der anderen Propheten, sondern auch ganz deutlich von den politischen Gesetzen der profanen Gesetzgeber. Diese werden von ihm verach­tet, weil sie, anstatt nach wahrer, sprich: philosophischer, Erkenntnis zu streben, nur den Vorspiegelungen ihrer gut ausgebildeten Einbildungskraft erliegen. 46 Nur die Tora ist unwandelbares Gesetz Gottes für alle Zeiten, sie zu of-