84 Das Verhältnis der Maskilim zum Talmud
friedigung Ausdruck, daß Wesselys Schrift in Posen, Wilna und Lissa verbrannt wurde 98 - was Horowitz in seiner vergleichsweise aufgeklärten Frankfurter Gemeinde sicher nicht hätte durchsetzen können. Er spricht dem «Ketzer» und «Epikuräer» (d. h. Atheist) Wessely, der in seinem Buch Worte der Ketzerei über Talmud und rabbi- nische Traditionsliteratur verbreitet habe, ab, noch Teil der jüdischen Gemeinschaft zu sein.
Wessely wird so das Opfer einer öffentlichen Verketzerung durch traditionalistische Rabbiner, die die gesamte Berliner Haskala meinen, aber nicht wagen, den Vorwurf der Ketzerei gegen den hoch angesehenen Mendelssohn zu erheben. Diese publizistische Verketzerung blieb in Berlin folgenlos, denn der Berliner Oberrabbiner Hirschei Lewin konnte wegen des Widerstands liberaler Kreise in der Gemeinde weder wagen, Mendelssohns Pentateuch-Übersetzung zu bannen, wie dies in Prag und Altona geschehen war, noch gar den Autoren zu Leibe zu rücken. Die Forderung nach dem Bann seitens von Horowitz ist also eher ein Symptom der Ohnmacht; die gänzliche Abschaffung des Banns und damit des Sanktionsmittels der Rabbiner, wird im Gegenzug eine zentrale Forderung der Haskala, die Mendelssohn 178z in seiner Vorrede zu Manasseh Ben Israel. Kettung der Juden und 1783 in Jerusalem mit all seiner Autorität erhebt. 99
Dennoch stand der Vorwurf der Traditionalisten im Raum, daß die Maskilim den Talmud brechen, verachten und verwerfen. Gegen diese polemischen Anwürfe hatte die Haskala sich zu behaupten, und sie hatte dafür argumentative Strategien zu entwickeln, wenn sie die noch traditionell eingestellten Kreise für die Aufklärung gewinnen wollte. Aber was war bei Wessely eigentlich der Stein des Anstoßes gewesen?