Die Lehre vom Menschen und die Lehre von Gott 85
1. Die Lehre vom Menschen und die Lehre von Gott:
Naftali Hartwig Wessely
Der aus Hamburg stammende Wessely kam 1774 nach Berlin und war dort zunächst als Hauslehrer, später auch als erfolgloser Kaufmann tätig. Er war als ausgezeichneter Kenner von Bibel und Midrasch bekannt und übernahm als Mitarbeiter an der Pentateuch-Übersetzung von Mendelssohn die Kommentierung des Bandes Wajjikra, Leviti- cus. Insofern ist die Beschuldigung der Ignoranz seitens seiner Feinde gänzlich aus der Luft gegriffen. Da Wessely in den Kreis um Mendelssohn gehörte, galt er als einer der aufgeklärten Berliner Juden und wurde in der Polemik gegen die Pentateuch-Übersetzung mit ihnen in einen Topf geworfen.
Berühmt und deshalb z. B. von der Redaktion des Me’as- sef um Mitarbeit gebeten wurde Wessely als hebräischer Dichter. Sein lyrisches Hauptwerk Schirej Tiferet («Lieder des Ruhms», gedruckt 1789 ff.) brachte ihm bei Graetz den abfällig gemeinten Namen eines «hebräischen Klop- stock» ein, 100 aber diese Bezeichnung trifft seine tatsächlich große Bedeutung als jüdischer religiöser Dichter in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts recht präzis. In seinen Forderungen gehörte Wessely eher zu den gemäßigten, konservativen Maskilim. Er blieb wie sein Altersgenosse Mendelssohn von der Vereinbarkeit von Vernunft und Gesetz überzeugt und lebte halachisch observant. Von Haß oder Herabwürdigung der religiösen Literatur und besonders des Talmud ist bei ihm nichts zu spüren, auch wenn er eine Unterrichtsreform forderte. Vor und nach der Publikation von Worte der Wahrheit und des Friedens ist er nicht ein zweites Mal mit den Traditionalisten in Konflikt geraten, obwohl er von der Forderung nach Verbesserung der profanen Bildung jüdischer Kinder nie abgerückt ist.
Bei der Begründung dieser Forderung in dem so umstrittenen Büchlein Worte der Wahrheit und des Friedens