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Die jüdische Aufklärung : Philosophie, Religion, Geschichte / Christoph Schulte
Entstehung
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120
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120 Haskala und Kabbala

«In seiner ursprünglichen Verfassung hatte das Juden­tum weder Gebetsformeln noch Andachtsübungen. Thier- und andre Opfer vertraten die Stelle derselben. Bei der Zerstörung des Staats, und als die Juden unter andre Völ­ker zerstreut wurden, mußte diese Lücke ergänzt, und ein anderer Gottesdienst angeordnet werden. Die Gebetsfor­meln, die nun verfaßt wurden - theils aus einzelnen Versen der heil. Schrift bestehend, theils von eigner Erfindung, de­ren Stil aber die Schwäche einer alternden Sprache verräth - ertönten von ewig wiederkehrenden Klagen über das die Nation bedrückende Elend, von Seufzern nach der Rück­kehr ins verlorne Land, von Sehnsucht nach Wiederher­stellung des Tempeldienstes. In allen diesen Gebeten ohne Ausnahme, ja sogar in dem Dankgebet für genossene Spei­sen, in den Segenssprüchen unter dem Trauhimmel, er­schallte das Klaggeschrei von Sklaven, die nach Erlösung schmachten, das Gebet um einen Messias, der die zerstreu­ten Reste Israels nach Palästina zurückführe. Diese Gebete wurden von Jahrhundert zu Jahrhundert immer zahlrei­cher und immer schlechter, die Begriffe immer mystischer und mit Grundsätzen der Cabbala verunreinigt, die dem echten Geist des Judentums geradezu widersprachen. End­lich die Sprache, worin sie ausgedruckt [!] sind, beleidigt nicht allein das Ohr, sondern spottet auch aller Logik und Grammatik. Der bei weitem größte Theil der Nation ver­steht von diesen Gebeten nichts; und dieses ist kein kleines Glück, da sie auf diese Weise gar keine Wirkung, weder eine gute noch eine böse, auf das Gemüth der Betenden hervorbringen. - Dieses ist, in einem kurzen Umriß, die Geschichte der äußern Religion unsrer Genossen in den vergangenen Jahrhunderten .» 170

Die Kabbala und ihre Grundsätze haben nach Ansicht des Aufklärers Friedländer die Begriffe und die Gebete der Juden verunreinigt und zu deren jahrhundertelangem, auch religiösem Niedergang beigetragen, den nun die jüdi­sche Aufklärung und Emanzipation beheben soll. Die Kabbala jedenfalls widerspricht geradezu dem «echten