Haskala und Kabbala
der Weltschöpfung. Aber im Gegensatz zur Metaphysik ist sie Wissenschaft mit vorkritischen, falschen oder unsinnigen Prämissen. Sie ist, wie Maimon weiter schreibt, «eine Kunst, mit Vernunft zu rasen» oder «eine auf Grillen beruhende systematische Wissenschaft», d.h. sie ist nicht von vornherein irrationaler Unsinn oder Lüge oder Scharlatanerie, sondern Vernunftgebrauch mit falschen, wissenschaftlich nicht haltbaren Voraussetzungen. Ganz im Sinne des nachkantischen Wissenschaftsanspruches der Zeit gesteht Maimon der Kabbala sogar zu, «systematische Wissenschaft» zu sein. Aber er hält die Kabbala nicht für Philosophie. Ihre Namens-, Zahlen- und Buchstaben- Spekulationen entfalten nur «auf schwärmerische, durch Wissenschaften und vorzüglich durch eine gründliche Philosophie unerleuchtete Gemüter eine außerordentliche Wirkung». 184 Der jüdische Philosoph Salomon Maimon kennt und analysiert die Kabbala, aber als Philosoph spricht er ihr jeden Wert ab, sowohl der praktischen Kabbala und ihren magischen, auf Naturbeherrschung zielenden Ritualen als auch der auf falschen Prämissen beruhenden theoretischen Kabbala und ihren Systemen.
Maimons ausgezeichnete Kenntnisse der Kabbala sind erstaunlich, aber keineswegs einzigartig. Die Kenntnis der Kabbala bei den Maskilim des 18 . Jahrhunderts, allemal bei den fünf hier in der Folge behandelten jüdischen Aufklärern: Jacob Emden, Moses Mendelssohn, Isaak Sata- now, Salomon Maimon und Ephraim Joseph Hirschfeld, war sogar überaus gut. Deren Kritik war darum nicht blindwütig, sondern differenziert. Ihr differenzierter Umgang mit der Kabbala resultiert in fünf verschiedenen Arten aufklärerischer Kritik, die hier exemplarisch analysiert werden sollen. Diese differenzierte Kritik wurde durch einen wichtigen Umstand erleichtert: Anders als uns das Gegensatzpaar Mystik - Rationalismus vermuten läßt, war nicht die Kabbala, sondern der Talmud Hauptgegenstand der Kritik der Maskilim. Viel stärker als die Kabbala bestimmte ja der Talmud durch die Halacha, die reli-