126 Haskala und Kabbala
giösen Vorschriften und Gebote, den Alltag der jüdischen Bevölkerung. Erst mit der weitgehenden Entmachtung der Rabbiner, die bis dahin die innerjüdischen Rechts- und Religionsfragen regelten, durch die Toleranzedikte Josephs II. und das preußische Emanzipationsedikt von 1812 bestimmten die Gesetze des Staates weit stärker als die Halacha das öffentliche Leben von Juden, die Beachtung der Halacha wurde zur reinen Religions- und Privatangelegenheit. Angesichts des alles andere überschattenden Streits der Maskilim um die Halacha ist die Kabbala dann nur einer von vielen der in Frage gestellten Teile der rabbinischen Tradition, die als Ganze in der Sattelzeit 185 um 1750 in Deutschland unter Modernisierungsdruck gerät: Innerjüdisch ebenso wie seitens der christlichen Aufklärer und der spätabsolutistischen Monarchien.
1. Jacob Emden oder Aufklärung und immanente Kritik
Jacob Emden (1697-1776) kann nicht wie Moses Mendelssohn zu den Gründervätern der Haskala als Aufklärungsbewegung gezählt werden. Denn er hatte kaum Schüler oder Anhänger, er war unorganisiert, und er wollte auch keine allgemeine Verbreitung der Aufklärung unter den Juden. Ihm reichte es, wenn einige Rabbiner gelehrt und strikt observant waren, ihre Gemeinden in diesem Sinne anleiteten und so vor Häresie und Sünde bewahrten. Kontakt, Austausch, gar Teilnahme am Aufklärungsdiskurs mit Nichtjuden oder der Kampf um Rechte für Juden im Staat standen nicht auf Emdens Agenda. Er war sein Leben lang ein strenggläubiger Polemiker und Einzelkämpfer, vor allem in seinen Attacken gegen den Sabbatia- nismus und namentlich gegen den hochangesehenen Rabbiner, Talmudisten und Kabbalisten Jonathan Eybeschütz in Hamburg. Dem wies er nach, heimlich ein Anhänger des «Schwindelmessias» (so wieder Heinrich Graetz 186 ) Sabbatai Zwi zu sein - und damit in den Augen der jüdi-