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Die jüdische Aufklärung : Philosophie, Religion, Geschichte / Christoph Schulte
Entstehung
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V. Die Entdeckung des Chassidismus

Gemeinhin gilt Martin Buber als der Entdecker des Chas­sidismus, jener jüdischen Frömmigkeitsbewegung, die um 1750 in Osteuropa entstand und deren Anhänger, die Chassidim («Frommen»), mit ihren Kaftanen und Pelz­kappen deutlich sichtbar noch heute viele jüdische Zen­tren zwischen Brooklyn und Mea Shearim prägen. Der Zionist Buber hatte durch seine expressiven Nacherzäh­lungen von chassidischen Legenden am Anfang des 20. Jahrhunderts seine Zeitgenossen wieder auf das spiri­tuelle, aber auch folkloristische Erbe der Chassidim auf­merksam gemacht: Gegen ein Judentum als konfessionali- sierte, vernünftige Religion und als «ethischer Monotheis­mus», wie es vom assimilierten jüdischen Bürgertum im 19. Jahrhundert in Sabbatpredigten hochgehalten wurde, präsentierte Buber in seinen Werken Die Geschichten des Rabbi Nachman (190 6) und Die Geschichte des Baal- schem (1908) die Alternative des volkstümlichen Chassi­dismus, ein «authentisches» Judentum als fromm und freudig gelebte Alltags- und Volksreligion. Kulturzionis­mus und jüdische Wandervögel entdeckten im Chassiden die Alternative zum kaisertreuen jüdischen Bürger in Zylinder und Gehrock. Das ostjüdische Stetl wurde Ge­genstand nostalgisch getönter Erinnerungen an eine nicht entfremdete und assimilierte, sondern vermeintlich ganz­heitliche, ursprüngliche, heile jüdische Welt im Wilden Osten Europas.

Doch Bubers expressive Sprache überspielt die spröde Brüchigkeit und Einfachheit der chassidischen Legenden im jiddischen und hebräischen Original, 214 seine Nostalgie die Härten chassidischer Lebenswelten. Seine Renaissance des Chassidismus ist eine Wiederentdeckung unter Nach-