V. Die Entdeckung des Chassidismus
Gemeinhin gilt Martin Buber als der Entdecker des Chassidismus, jener jüdischen Frömmigkeitsbewegung, die um 1750 in Osteuropa entstand und deren Anhänger, die Chassidim («Frommen»), mit ihren Kaftanen und Pelzkappen deutlich sichtbar noch heute viele jüdische Zentren zwischen Brooklyn und Mea Shearim prägen. Der Zionist Buber hatte durch seine expressiven Nacherzählungen von chassidischen Legenden am Anfang des 20. Jahrhunderts seine Zeitgenossen wieder auf das spirituelle, aber auch folkloristische Erbe der Chassidim aufmerksam gemacht: Gegen ein Judentum als konfessionali- sierte, vernünftige Religion und als «ethischer Monotheismus», wie es vom assimilierten jüdischen Bürgertum im 19. Jahrhundert in Sabbatpredigten hochgehalten wurde, präsentierte Buber in seinen Werken Die Geschichten des Rabbi Nachman (190 6) und Die Geschichte des Baal- schem (1908) die Alternative des volkstümlichen Chassidismus, ein «authentisches» Judentum als fromm und freudig gelebte Alltags- und Volksreligion. Kulturzionismus und jüdische Wandervögel entdeckten im Chassiden die Alternative zum kaisertreuen jüdischen Bürger in Zylinder und Gehrock. Das ostjüdische Stetl wurde Gegenstand nostalgisch getönter Erinnerungen an eine nicht entfremdete und assimilierte, sondern vermeintlich ganzheitliche, ursprüngliche, heile jüdische Welt im Wilden Osten Europas.
Doch Bubers expressive Sprache überspielt die spröde Brüchigkeit und Einfachheit der chassidischen Legenden im jiddischen und hebräischen Original, 214 seine Nostalgie die Härten chassidischer Lebenswelten. Seine Renaissance des Chassidismus ist eine Wiederentdeckung unter Nach-