Die politische Philosophie der Haskala 173
das Zeitalter bürgerlicher Gleichstellung der Juden begann faktisch 1781 mit den Toleranzpatenten Josephs II. in der Donaumonarchie und daran anschließenden Diskussionen im Elsaß und in Preußen. Dies war eine obrigkeitlich vom Monarchen gewährte und nur unvollständige Gleichstellung, während die Französische Revolution dann die Gleichberechtigung der Juden radikal und von unten herbeiführte. Einzig in den Vereinigten Staaten von Amerika waren Juden von vornherein gleichberechtigte Bürger. 274 Die rechtliche Gleichstellung von Juden im Staat wurde also erst am Ende des 18. Jahrhunderts Wirklichkeit. Vorher wurden die Juden und ihre Ansiedlung in den Territorien der christlichen Monarchien Europas lediglich toleriert, d.h. im Wortsinn: «geduldet», allerdings mit sehr eingeschränkten Rechten.
Eine philosophische Auseinandersetzung über die Tolerierung von Juden gab es in England. John Locke nennt in seinem Letter Concerning Toleration von 1689 zwei grundsätzliche Bedingungen von Tolerierung, nämlich erstens die Trennung von Staats- und Religionszugehörigkeit. Nur ein Staat, der die Staatszugehörigkeit seiner Bürger nicht an die Zugehörigkeit zu einer einzigen (Staats-) Religion bindet, kann verschiedene Konfessionen und Religionen auf seinem Territorium tolerieren. Zweitens müssen die Bürger des Staates untereinander religiös tolerant sein, um auf Tolerierung seitens des Staates Anspruch zu haben. John Toland, ein. bekannter Deist, spricht sich in seinem Traktat Reasons for Naturalizing The Jews in Great Britain and in Ireland 1714 für die Naturalisierung, d. h. für ein Ansiedlungsrecht der Juden aus, das ihnen bestimmte Handelsrechte und religiöse Freiheiten gewährt, nicht aber gleiche Rechte wie den Christen. Toleranz, Duldung der jüdischen Religion in der christlichen Monarchie ist die Voraussetzung solcher Naturalisierung, also des Rechts, überhaupt Bürger minderen Rechts in einem christlich dominierten Staat zu werden, konkret: Untertan eines christlichen Monarchen.