178 Die politische Philosophie der Haskala
Zustand der Juden und macht Verbesserungsvorschläge. Dabei verzichtet Dohm gänzlich auf jahrhundertelang übliche christlich-theologische Argumentationsmuster, welche die mißliche Lage der Juden als Strafe Gottes für ihre Sünden erklärten oder sie als Konsequenz der Nichtanerkennung der Messianität Jesu und des <Gortesmordes> am Kreuz durch die «verstockten» Juden legitimierten.
Vielmehr erkennt Dohm, daß die schlechte Situation der Juden durch ihren rechtlosen Zustand in den Staaten Europas hervorgerufen wurde. Seit dem Untergang des jüdischen Staates in der Antike seien Juden eine staatenlose, religiös, wirtschaftlich, gesellschaftlich, beruflich und juristisch benachteiligte und unterdrückte Minderheit. Ihre Rechtlosigkeit, so Dohms Argument, sei Ursache ihrer Armut, des Sittenverfalls und ihrer Außenseiterrolle in der bürgerlichen Gesellschaft. Zur Behebung dieser Mißstände fordert er an erster Stelle, daß die Juden «vollkommen gleiche Rechte mit allen übrigen Unterthanen erhalten». 277 Die dem Erscheinen von Dohms Schrift folgende Debatte zeigte jedoch, daß auch in weiten Kreisen des aufgeklärten christlichen Publikums die volle bürgerliche Gleichstellung der Juden noch abgelehnt wurde. Die Juden und das Judentum als Religion wurden weiterhin als minderwertig betrachtet, und eine Gleichstellung nur um den Preis von Änderungen der jüdischen Religionsgesetze durch die Juden selbst oder durch den Staat akzeptiert.
Der zweite, ursprünglich wohl nicht geplante Teil des Werks verdankt seine Entstehung der heftigen Debatte, die der erste Teil beim aufgeklärten Publikum ausgelöst hatte. Dohm hat diese Reaktionen auf den ersten Teil zu Anfang des zweiten Teils auf 130 Seiten nachgedruckt, danach versucht er Einwände zu widerlegen, kommt jedoch bei Erörterung seines Anliegens, die Juden «zu bessern Menschen und Bürgern» zu machen, 278 zur Forderung erheblicher sozialer und religiöser Assimilationsleistungen der Juden, die er im ersten Teil noch nicht vorgebracht hatte und die einige radikale Forderungen des ersten Teils zu-