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Jugendjahre in Pest
Dabei ging es um mehr als ein literarisch-journalistisches Pseudonym. Mit dem Namen Max Nordau sollte das eigene Jude-Sein gegenüber der Öffentlichkeit vergessen gemacht werden. »Zu Hause nannte man mich Simcha und den Vornamen Max wendete man nur in Gegenwart von Fremden an.« Aber vergeblich. Auch für die Fremden, allemal für die Antisemiten, bleibt Nordau Jude, wie immer reichsdeutsch sich seine Zeitungsartikel und Bücher gerie- ren, die er in Paris für deutsche Leser verfaßt, nachdem er endgültig Pest und damit das ungeliebte ungarisch-jüdische Milieu seiner Herkunft verlassen hat.
Was er in seiner Selbstbiographie nicht erwähnt, sind die prägenden Jahre des beruflichen Suchens und Reisens in Europa. 1873 erlebt er in Wien, wo er seinen Militärdienst als Arzt ableistet, die Weltausstellung und berichtet für den Pester Lloyd über sie. 1874/ 75 hat er als Journalist genug Geld verdient und leistet sich eine europäische Bildungsreise: Berlin, St. Petersburg, Moskau, Kopenhagen, Stockholm, London, Island, Paris, Madrid, Neapel, Rom, Venedig; namentlich die Museen und Sehenswürdigkeiten dieser Städte sind die großen Stationen dieser Reise.
Im November 1875 ist Nordau zurück in Pest, erhält am 29. Januar 1876 sein medizinisches Diplom und könnte sich damit als Arzt niederlassen. Aber er ist ehrgeizig, strebt eine akademische Karriere als Mediziner an und geht deshalb am l.Mai 1876 nach Paris zu Charcot, dem ungekrönten König der Psychiatrie des 19. Jahrhunderts. 3 Nordau arbeitet, nachdem ihm eine feste Anstellung bei der Neuen Freien Presse versagt wird, in der Seine-Metropole als Korrespondent verschiedener Zeitungen und zugleich als Klinik-Arzt. Aber er macht in Paris nicht die große medizinische Entdeckung, die ihn berühmt und eine Universitätskarriere möglich gemacht hätte. Am 1. Oktober 1878 kehrt er auf Drängen seiner Mutter und Schwester, die er seit dem Tod seines Vaters versorgen muß und die sich in Paris nicht wohl fühlen, wieder nach Pest zurück und läßt sich dort als »Frauenarzt und Geburts-
3 Vgl. Henry F. Ellenberger, Die Entdeckung des Unbewußten. Geschichte und Entwicklung der dynamischen Psychiatrie von den Anfängen bis zu Janet, Freud, Adler und Jung, Zürich 1985, bes. S. 143-161.