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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Meine Selbstbiographie

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dieses Buch Nordaus, der nach dem Tode Herzls die bekannteste Figur aus der Gründergeneration des modernen Zionismus ist, ist jener Text unter dem Titel Meine Selbstbiographie geschrieben. Der Zionismus indessen ist eine Weltanschauungs- und Bekennt­nisfrage. Und Nordau legt in Meine Selbstbiographie öffentlich darüber Rechenschaft ab, wie er persönlich zum Zionismus fand. Daher ist diese Kurz-Selbstbiographie geprägt von Anlaß und An­sinnen der Zionistischen Schriften Nordaus. Sie bekennt einige der biographischen Umstände und Motive jener größten und er­staunlichsten Wende in seinem Leben: Wie die öffentliche Person Max Nordau, der international renommierte, in über 15 Sprachen übersetzte Erfolgsautor von Die conventioneilen Lügen der Kul­turmenschheit (1883), von Paradoxe (1885) und von Entartung (1892/93), der Kritiker, Journalist und Arzt aus Paris dazu kam, seit 1896 seine jüdische Herkunft nicht mehr für eine qualite negligea- ble zu halten und vor der Öffentlichkeit zu verbergen, sondern im reifen Alter von 47 Jahren zu einem der Gründer und führenden Ideologen des modernen Zionismus zu werden.

Recht lapidar wird hier ein im Grunde hochdramatisches Ge­schehen geschildert. Aber jede Nähe zu der Dramatik einer reli­giösen Bekehrung soll vermieden werden, der Anschein der Ratio­nalität und Weltlichkeit noch in der radikalsten und emotionalsten Lebenswende muß gewahrt bleiben. Es gehört zum Bild des wis­senschaftlich gesinnten Zeitgenossen, daß es bei ihm stets vernünf­tig zugeht. Ein Satz wie: »ich selbst machte eine Assimilationsphase durch, aus der ich mich nur mit großer Mühe und sittlicher An­strengung herausgearbeitet habe«, überliest sich leicht. Er macht vergessen, daß Nordaus »Assimilationsphase« drei Jahrzehnte sei­nes Erwachsenen-Daseins umfaßte, in denen er jede Spur des Jüdi­schen in seinem öffentlichen Auftreten hat tilgen wollen. So etwa kam es zu der im Text ebenfalls erwähnten Namensänderung, mit der seine jüdische Herkunft verborgen werden sollte: Der jüdische Name Simcha Südfeld wurde schon in jungen Jahren zum deut­schem Pseudonym Max Nordau aufgenordet. Als er nach Abschluß seines Medizinstudiums Anfang April 1873 Budapest verläßt, lautet sein nom de plume, unter dem er als Journalist des Pester Lloyd nicht nur sein Studium, sondern auch seine bitterarme Familie finanzierte, schon seit Jahren auf »Max Nordau«.