Ein Pester Jude
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der verspäteten Entstehung des politischen und territorialen Nationalstaats besonders betonter sprachlicher und kultureller Nationalismus, der dieser Entstehung um mehrere Jahrzehnte vorauseilte und in ihren Diensten stand, erfaßt auch die plötzlich gleichberechtigten, kulturell und national z.T. geradezu integrationswütigen jüdischen Bürger.
In diesem historischen Kontext ist die Wahl des Namens Max Nordau ein politischer und weltanschaulicher Akt . 22 Schon der Gymnasiast Simcha Südfeld entscheidet sich mit der Annahme dieses Namens gegen das Jüdische und gegen das Ungarische. Während in denselben Jahren Tausende von Pester Juden im Zeichen des ungarischen Nationalismus und der Emanzipation ihre Namen magyarisieren, germanisiert er den seinen zu Max Nordau. Mit diesem Namen schlägt er sich auf die Seite des soziokulturellen und politischen Feindes. Lange vor Annahme des neuen Namens hatte er in der fünften Klasse das katholische Gymnasium verlassen, das er mit Unterstützung eines Stipendiums besuchte, und war auf das calvinistische Gymnasium gewechselt. Das aber ist in jenen Jahren, als Simcha sein Schriftsteller-Pseudonym Max Nordau annimmt, geradezu die Bildungshochburg der Magyaren in Pest. »Max Nordau« ist dort eine Kampfansage.
Der anti-magyarische Affekt Simchas fand sicher die Zustimmung der Eltern: Gabriel Südfeld war durch die Magyarisierung als deutschsprachiger Hauslehrer beschäftigungslos und verarmte so weit, daß er seine Familie nicht mehr allein ernähren konnte. Im Hause Südfeld galten die ungarische Sprache und Bildung von vornherein als inferior, Goethe und Schiller waren kulturell das Maß der Dinge . 23 Denn Gabriel Südfeld fühlte sich als jüdischer Aufklärer, als Maskil deutschen Zuschnitts, der nun angesichts des
22 Gert Mattenklott hat den Namenswechsel zu Nordau als »kulturpolitischen Akt« gewertet. Damit ist die Wahl der deutschen Kultur durch die Wahl des >deutschen< Namens als politischer Akt zutreffend gekennzeichnet. Zugleich ist dieser Schritt jedoch nicht minder ein religionspolitischer und nationaler Akt, der Simcha Südfeld in Pest zwischen alle Fronten bringt. Vgl. G. Mattenklott, Der Mann Freud und die Antisemiten: Sander Gilman über die Folgen des Judenhasses für die Psychoanalyse, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 13.12.1994, S. 21.
23 Anna Nordau, Max Nordau. Erinnerungen, S. 19ff.