Ein Pester Jude
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verlorenen Kulturkampfs gegen die Magyarisierung in Pest deplaziert war. Kulturell wie ökonomisch mußte in der Familie Südfeld die Magyarisierung deshalb als ruinöser Niedergang verstanden werden. Simcha Südfeld hat das als Jugendlicher sehr früh gelernt und später als Max Nordau immer wieder reproduziert: Die Absage an die Goethe-Kultur ist unweigerlich ein Schritt in Richtung kultureller Entartung und Dekadenz.
Obwohl er zeitlebens ungarischer Staatsbürger blieb, hat Nordau sich mit der Austreibung des Deutschen aus der ungarischen Nationalkultur nie abgefunden. Schon für das bloße Anliegen der nationalen und demokratischen Befreiung Ungarns von der habsburgischen Monarchie konnte er sich nie erwärmen, ein Anliegen, das ihm als aufgeklärtem Anhänger der Republik und späterem großen Verehrer des Risorgimento in Italien eigentlich hätte sympathisch sein sollen. Aufgrund der eigenen Situation als Angehöriger gleich zweier Minderheiten in Personalunion, der Deutschen und der Juden, empfindet er nur deren Unterdrückung.
An der eigenen Person verspürt er ausschließlich die negativen Seiten jener historischen Dialektik in der nationalen Befreiung eines Vielvölkerstaats vom Joch einer imperialen Großmacht: Die nationale Autonomie für die Mehrheit, hier die Magyaren, macht alle anderen dort lebenden Völker oder Volksgruppen zu Minderheiten, die sich der Mehrheit, ihren Gesetzen und Bräuchen, ihrer Sprache und Religion entweder anpassen müssen oder gesellschaftlich im Überschwang der nationalen Erneuerung rasch mar- ginalisiert werden. In Ungarn war zudem die nationale Befreiung von einem jahrzehntelangen Kulturkampf für das Ungarische und gegen die deutsche Kultur der habsburgischen Fremdherrscher begleitet gewesen.
Nordau macht die eigene Betroffenheit als Angehöriger sowohl der deutschsprachigen als auch der jüdischen Minderheit in Hinsicht auf die Legitimität des ungarischen Nationalismus zunächst blind. Erst der Zionist Nordau, der nicht mehr Deutscher sein will und selber Vertreter einer jungen jüdischen Nationalbewegung ist, kann im Alter, Jahrzehnte später, für den ungarischen Nationalismus Verständnis zeigen. Der junge Nordau aber identifiziert sich mit dem Deutschen. Und dies nicht nur, weil sich in der Tat die Erfolgsaussichten für einen deutschsprachigen Autor in einem sich