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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Jugendjahre in Pest

ständig stärker magyarisierenden Budapest im Gleichschritt mit der Zahl deutschsprachiger Leser verminderten - was zur Abwan­derung gerade vieler jüdischer Autoren deutscher Sprache aus Pest nach Wien und in den Westen führte: Herzl, Lukäcs oder Koestler sind neben Nordau nur einige bekanntere Beispiele der Abwande­rung von Pester Juden. Nordau war von Hause aus - »mein Vater war ein typischer Maskil (Aufgeklärter)« 24 - ganz früh dazu erzo­gen worden, fast trotzig das Ungarische zu meiden und die deutsche Kultur, jenes Kultur-Paradigma der Haskala, der jüdischen Aufklä­rung, hochzuhalten, obwohl dies im ungarischen Kulturkampf zum sicheren wirtschaftlichen Ruin führte und gesellschaftlich zum Mißerfolg verdammte.

Wenigstens ein Fall ist dokumentiert, wo ihm sein Bekenntnis zum Deutschen manifest geschadet hat: Als der junge Arzt Max Nordau Anfang 1876 an der Budapester Universität ein Stipendium von 1700 Gulden für seine Weiterbildung in medizinischer Anthro­pologie in Paris beantragt, lehnen dies einige der national-magya­risch gesinnten Professoren ab, weil er sich angeblich ungarnfeind­lich geäußert haben soll. 25

Die Option gegen den magyarischen Nationalismus kann Nordau als Juden aber auch nicht, wie Teile des ungarischen Adels und des katholischen Klerus, auf die Seite der Habsburger führen. Vielmehr optiert Nordau politisch großdeutsch oder reichs­deutsch, kurz: für die Preußen. Das bringt ihn in Pest politisch end­gültig zwischen alle Fronten. Aber es findet sich nirgendwo von ihm selber reflektiert. Deutlich ausgesprochen, wieder und wieder, ist allein seine Option für die deutsche Sprache und Kultur. Da­durch hat sich Nordau, obwohl er fließend Ungarisch schrieb und sprach, nie mit Ungarn und seiner Kultur identifizieren können und wurde seinerseits leicht ausgegrenzt. Er wollte deutscher Schriftsteller sein, der Staatsbürgerschaft nach jedoch blieb er Un­gar und wurde so nolens volens, wie er sich selbst 1878 einmal defi­nieren sollte, »deutsch schreibender Ungar« irgendwo im europäi­schen Ausland. 26

24 S.o. »Meine Selbstbiographie«.

25 Brief Professor Lenhossek - Nordau v. 20.5.1876, ZZA A119/120/9.

26 Max Nordau, Aus dem wahren Milliardenlande, Berlin 1878, Vorwort.