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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Wanderjahre

Auf der Rückreise betätigt er sich in einem Notfall als Schiffsarzt. Das hebt sein Ansehen an Bord und bringt ihm, obgleich er eine Bezahlung abgelehnt hatte, das erste Arzthonorar seines Lebens ein: 60 Gulden Gold. »Es ist das erste Geld, das mir meine Medi­zin einbringt und aller Wahrscheinlichkeit nach wird es auch das letzte bleiben. (...) Mir kommt,es ganz gut, ich mache mir was dafür, wahrscheinlich einen schwarzen Anzug. Soll ich Dir auch etwas davon geben? Sage mirs! Du, das Geld macht mir eigent­lich mehr Spaß als was ich von den Zeitungen bekomme .« 50

Über Edinburgh kehrt er am 19. September nach London zurück. Er läßt sich den Anzug schneidern, den Vollbart rasieren, Fotos anfertigen und macht so manchen Besuch in der Kolonie der Lon­doner Ausländer. »Ich bemerkte aber, was ich unter dem Bart nie bemerkt hatte, daß ich ein ganz stattliches Doppelkinn be­sitze.« 51 Also fällt eine Lebensentscheidung: Der Vollbart wächst wieder und wird später, ergraut und weiß, zum äußerlichen Mar­kenzeichen des modernen >Propheten< Nordau.

An Rückkehr nach Pest ist natürlich nicht zu denken. Vielmehr schmiedet Nordau Pläne für seinen ersten Aufenthalt in Paris. »In Paris selbst werde ich mir dann schon etwas verdienen. Über­haupt werde ich das zweite Jahr meiner Reise journalistisch bes­ser auszunutzen trachten als das erste. Ich war während dieses ersten Jahres, die russische Reise ausgenommen, immer großer Herr ohne feste Verpflichtungen und habe meine Zeit zwischen Schauen und Lernen getheilt. Im zweiten Jahr will ich außer Spa­nisch und Italienisch nichts lernen und dafür Geld verdienen. Ich will in Paris ordentlich leben... « 52 Am 30. Oktober reist er mit dem Nachtzug aus London ab und erreicht Paris am kommenden Morgen gegen 10 Uhr. Es erwarten ihn die schon üblichen Intri­gen mit dem Pester Lloyd, denn Falk will Paris-Feuilletons von Nordau, weil er mit dem Korrespondenten Nenänyi unzufrieden ist. Nenänyi, dessen Posten ein Jahr zuvor noch Nordau angebo- ten war, hat verständlicherweise Angst um seine Stellung. Aber

50 Nordau - Charlotte Südfeld, Edinburgh, 16.9.1874, ZZA A119/15.

51 Brief Nordau - Charlotte Südfeld, London, 12.10.1874, ZZA A 119/15.

52 Brief Nordau - Charlotte Südfeld, London, 19.10.1874, ZZA A119/15.