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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Unbehagen in der Kultur

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Unbehagen in der Kultur

Das Unbehagen in der Kultur, so könnte der Titel von Nordaus Die conventionellen Lügen der Kulturmenschheit (1883) auch lauten, denn das allgemeine »Unbehagen« der »Kulturmenschen« in der herrschenden Kultur des ausgehenden 19. Jahrhunderts ist der Grundbefund von Nordaus Buch. Die Nähe zu Freuds Das Un­behagen in der Kultur (19 30) ist dabei keine zufällige. Freud kannte Nordau aus seiner Zeit in Paris persönlich, er hatte ihn 1886 einmal in dessen Wohnung in der Rue de Berne aufgesucht. Der sieben Jahre jüngere Freud war mit einem Empfehlungsschreiben zu Nordau gekommen, wurde von dem Älteren wohl etwas von oben herab behandelt und fand diesen folgerichtig überheblich. Die Abneigung der beiden Herren, beide nicht-religiöse Juden deutscher Zunge, beide Mediziner, beide k.(u.)k. Schüler Charcots, beide etwas eitel und von ihrer Bedeutung überzeugt, war wohl ge­genseitig und man vertiefte die Bekanntschaft nicht, auch wenn man sich anläßlich der Vorlesungen oder Soireen Charcots häufi­ger getroffen haben muß. 1 Freud besaß Nordaus Conventionelle Lügen tatsächlich und hat dieses Buch gelesen. Jahrzehnte später, nach dem Ersten Weltkrieg, hat er es Chaim Bloch als Beispiel für eine frühe jüdische Attacke auf die Religion und ihre Institutionen entgegengehalten. 2

Dennoch hat Freud Nordau in keinem seiner Werke namentlich

1 Emest Jones, The Life and Work of Sigmund Freud, Bd. I, New York 1953, S. 188.

2 Chaim Bloch, »Pegischati Im Freud VeHitvakchuti Ito Al Mosche Rab-