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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Paradoxe und Privates

nicht durch ehrliche Arbeit, sondern durch Glück bei Spekulatio­nen rasch zu Geld kommen.

Vom Niedergang des alten Pariser Salons durch den Beitritt neu­reicher Amerikaner handelt das Feuilleton Ein Pariser Salon, das Nordau zu einer umfangreichen Polemik gegen die Protzerei der neureichen, ungebildeten amerikanischen Millionäre in Paris nutzt. Das Feuilleton Das Komödiantenthum in der Pariser Ge­sellschaft hingegen schildert eine Kuriosität: den »Cirque Molie­ros«, in dem die Stützen der Pariser High Society selbst als Artisten auftreten. Nordau sieht darin wiederum Parallelen zum Sittenver­fall in der Antike. Diese Art von Zirkus »ist freilich auch schon dagewesen, wie der weise Salomo ja von allen Dingen behauptet. Im Rom der Kaiserzeit, im Byzanz des tiefsten Verfalls war der Mime auch die größte Persönlichkeit der Welthauptstadt; auch damals sah man Kaiser auf der Bühne um Applaus werben und Senatoren und Ritter in die Arena hinabsteigen, um als Rosse­lenker und selbst als Gladiatoren Lorbeern zu erkämpfen; auch damals erregte der Wettstreit der Fahrkünstler die größte Leiden­schaft der Menge, ein Circusspiel war die wichtigste Staatsange­legenheit (...). Wem diese Ähnlichkeiten nicht auffallen, der hat keinen Sinn für sittengeschichtliche Analogien.« 3

In Mathilde Heine wird Nordaus lebenslange Verehrung für Heinrich Heine deutlich, die er seit seiner Jugendzeit hegt und die 1901 in seiner Rede zur Errichtung des Heine-Denkmals auf dem Friedhof von Montmartre erneut Ausdruck finden wird. Nordau hat Heines Witwe Mathilde in den Jahren vor ihrem Tode in Paris noch dreimal besucht. Er schildert sie als einfache Frau aus dem Volk. An der Ehe Heines mit dieser geistig dem Dichter nie eben­bürtigen Frau, die viele Zeitgenossen und Interpreten als Mißgriff oder Kuriosum betrachtet hätten, gebe es nichts zu romantisieren. Auf der anderen Seite sei sie jedoch auch nicht eine Bagatelle, son­dern ernst zu nehmen, denn Heine sei entgegen dem Stil und Ton seiner Gedichte im Leben durchaus kein Leichtfuß gewesen. »Heine ist derjenige deutsche Dichter, der am meisten Leichtfertig­keit geheuchelt hat.« 4

3 Nordau, Pariser Briefe, S. 53.

4 Nordau, Pariser Briefe, S. 119.