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Paradoxe und Privates
In Richard Wagner und die Pariser, einem Text von 1883, schätzt Nordau Richard Wagner noch ganz anders ein als neun Jahre später in der brachialen Kritik von Entartung. Er verteidigt Wagner gegen das Unverständnis der Pariser und gegen das unflätige Auspfeifen bei der Aufführung des Tannhäuser durch Mitglieder des Pariser Jockey-Club. Im Feuilleton Maxime du Camp werden die reaktionären Schriften des gleichnamigen Schriftstellers attackiert, die ihm einen Platz in der Academie Fran?aise eingebracht haben. Bouvard et Pecuchet, ein Roman von Maxime du Camps Freund Gustave Flaubert, gilt Nordau hingegen einfach als langweilig. Die dort durch die gewollte Langatmigkeit der detaillierten wissenschaftlichen Deskriptionen und die Darstellung der Ideenlosigkeit der beiden kleinbürgerlichen Protagonisten Bouvard und Pecuchet angestrebte Karikatur des Positivismus und seiner Wissenschaftsgläubigkeit entgeht Nordau offensichtlich; vielleicht will er sie auch nicht wahrnehmen.
Vater Didon heißt eine Verteidigung Deutschlands gegen die Angriffe des Dominikaners Pere Didon, der den Deutschen nationalen Egoismus vorgeworfen hatte. Ganz im Wir-Ton vertritt Nordau die deutsche Sache. So sei die Übersetzung aller Nationalliteraturen ins Deutsche nicht als egoistische Vereinnahmung zu verstehen, sondern als Anerkennung der kulturellen Leistung der anderen Völker. » Wir leihen ihnen [den Dichtern von kleinen Völkern und seltenen Sprachen] das deutsche Kleid und machen sie dadurch in der Versammlung der großen Culturvölker salonfähig. (...) Unsere Dichter und Schriftsteller haben es immer für ihre heilige Aufgabe gehalten, fremde Volksthaten zu preisen und zu verherrlichen .« 4 Der Widerspruch gegen eine anti-deutsche Attacke treibt hier Nordau zu einer nationalen Identifikation als Deutscher, die über die Identifikation als deutschsprachiger Schriftsteller weit hinausgeht. In keinem anderen Text Nordaus geht die Identifikation so weit wie in diesem, wo er im kollektiven »Wir« für das deutsche Publikum und Volk spricht. Hier fehlt ihm selbst zum Deutschen eigentlich nur der deutsche Paß.
Von seiner sozialkritischen Seite zeigt sich Nordau in der Besprechung von Jules Valles’ Jacques Vingtras. Dieses Werk ist die
4 Nordau, Pariser Briefe, S. 254.