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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Paradoxe und Privates

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Und überdies war Eugen von Jagow exponierter politischer Korre­spondent dieser Zeitung beim >Erbfeind< in Paris. Kein Blatt hätte Nordaus freisinniger Weltanschauung, nachdem er doch die »re­ligiöse« und die »monarchisch-aristokratische Lüge« laut genug öffentlich bekämpft hatte, ferner stehen können als dasjenige von Jagows.

Die Freundschaft der beiden Korrespondenten, die sich mög­licherweise anläßlich der allwöchentlichen »Kneipe« verschiede­ner deutschsprachiger Paris-Korrespondenten kennenlemten und dort immer wieder trafen, hat der politisch-weltanschauliche Ge­gensatz allem Anschein nach nicht verhindert. Allerdings bewegen sich die beiden im Briefwechsel sozusagen auf neutralem Terrain, dem der Kunst und der Literatur. Im Briefwechsel begegnet man sich als Schriftsteller, der den joumalismus als reinen Brotberuf be­treibt; nur bisweilen geht es auch um den Beruf. Politik und Antise­mitismus bleiben ansonsten weitgehend ausgespart.

In der Tat ist der Umstand, daß von Jagow Taufpate von Maxa Nordau ist, ein Zeichen für die innige Freundschaft beider Männer. Überraschend und für die Forschung vollkommen neu ist indessen das Faktum, daß Max Nordau trotz aller Kritik an der »religiösen Lüge« und an der Unreinheit des Weihwassers und trotz des öffent­lichen Bekenntnisses zum Zionismus ab 1896 seine Tochter über­haupt taufen ließ. Sicherlich entsprach er damit dem Wunsch von Maxas Mutter, der dänischen Protestantin Anna Dons, der Witwe jenes anderen Freundes Richard Kaufmann, die Nordau am 20. Ja­nuar 1898 heiratete.

Unbekannt war bislang nicht nur die Taufe Maxa Nordaus, son­dern auch ihr Geburtsdatum, der 10. Januar 1897, das im Briefwech­sel von Nordau selbst bestätigt wird. 57 Maxa Nordau ist, entgegen der Angabe »1898 -« in der Encyclopaedia Judaica, mehr als ein Jahr vor der Heirat ihrer Eltern geboren worden. Ihre Geburt ist der ehrenwerte, aber uneingestandene Grund der weithin unverstan­denen Eheschließung des Zionisten Nordau mit einer Nichtjüdin 1898. Nordau, der, noch unverheiratet, wenige Monate nach ihrer

57 Brief Nordau - von Jagow, 8.1.1898, ZZA A 119/283/290. Schon aus dem Jahre 1897 existieren mehrere Briefe Nordaus über die Säuglingskrankheiten Maxa Nordaus an v. Jagow (alle in: ZZA A 119/283).