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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Der Brief-Freund

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Geburt im Sommer 1897 gefeierter Teilnehmer des ersten Zioni- sten-Kongresses in Basel war, ließ in den Monaten vor dem Kon­greß seine einzige Tochter taufen. Taufpate und engster Freund war ein adliger Garde-Ulanen-Leutnant der Reserve, Korrespondent der Kreuz-Zeitung, das sorbische -ow am Namensende und Huge­nottenblut in den Adern, dazu musisch und literarisch veranlagt - idealer hätte man dieses Mannesbild eines preußisch-deutschen Aristokraten, der überdies weder ein Prasser noch ein Parasit ist, sondern gemäß gutbürgerlicher Tugendvorstellungen für seinen Lebensunterhalt hart arbeiten muß, nicht einmal für einen Roman erfinden können. Und dieser Mann erkennt ganz offensichtlich den kleingewachsenen, vollbärtigen Pester Juden Max Nordau als Freund und als Schriftsteller an. Das geht so weit, daß er sich für dessen vorehelich geborene Tochter als Taufpate zur Verfügung stellt - sicherlich auch in der Familiengeschichte derer von Jagow eine einzigartige Novität.

Dies alles klingt wie ein Abgleich von teilweise sogar antisemiti­schen Klischees, aber in der Begegnung vom hochgesinnten, altad­ligen preußischen Gardeleutnant und dem kleinwüchsigen, stäm­migen, die jüdische Intelligenz< verkörpernden, der Orthodoxie entlaufenen Rabbinersohn, Wissenschaftler und Autor spielen diese Klischees auf beiden Seiten in Gefühlen und Werken als Phantasmata eine große Rolle. 58 Die Kombination von beidem, der edle und kluge jüdische Reserveleutnant ohne Adelstitel, ist in jenen Jahren geradezu das Leitbild jüdischer Integration ins »Deutschtum«. Solche Bilder prägen mit Sicherheit auch das Selbstbild und Fremdbild Eugen von Jagows und Max Nordaus. Beide treffen sich, bezeichnenderweise nicht in Berlin , sondern im Wahl-Exil Paris, in dem Wunsch, als deutsche Schriftsteller aner­kannt zu werden und finden bei ihrem Freund diese Anerkennung: von Jagow die als Schriftsteller, Nordau die als deutscher Schrift­steller.

Gäbe es die Gegenbriefe von JagoWs an Nordau noch, wäre die­ser Briefwechsel vielleicht eines der interessantesten Dokumente eines deutsch -jüdischen Gesprächs, gerade wegen seiner Untiefen,

58 Vgl. Sander Gilman , The Jews Body, New York/London 1991.