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Entartung
symbolistischen Schaar« aufgestiegen; Verlaine, der auch dazugehört, sei der Inbegriff und die Verkörperung des degenerierten Symbolisten 73 , obwohl einige seiner Gedichte, wie Nordau zugesteht, »Perlen der französischen Lyrik« sind. Gegen den »leeren Mallarme« hat Nordau sonst nur vorzubringen, daß er wie die bei Lombroso, Frigerio und Hartmann aufgeführten Irren und Verbrecher zugespitzte Ohrmuscheln habe. 74
Die Nr. 3 der Symbolisten sei Jean Moreas, der drei schmale Bändchen mit läppischen Versen vorgelegt habe. Dessen »Gehim- erweichtheit« demonstriert Nordau anhand höchstselbst vorgenommener, wahrscheinlich erstmaliger Übertragung seiner Verse ins Deutsche. 75 Richtig ist sicherlich Nordaus Einschätzung, daß der freie Vers der Symbolisten sich gegen die französische Tradition des Alexandriners richte; richtig auch, daß das »Farbhören« und die Lautmalerei der Gedichte eine Gegenbewegung zum Naturalismus darstellen. 76 Das rechtfertige jedoch nicht die immer wohlklingenden, aber bezugs- und inhaltslosen Titel der symbolistischen Literatur.
Der Tolstoismus ist bei Nordau in einem kurzen Kapitel rasch abgetan, das ganz von seinem antireligiösen Affekt getragen ist. Zielscheibe seiner Polemik ist der späte, streng religiös gewordene und nach den Idealen des Urchristentums lebende Tolstoi. Aber diese Perspektive ist für Nordau so beherrschend, daß gerade etwa das früher entstandene Hauptwerk Krieg und Frieden als verworren bezeichnet und als Ausdruck von Entartung behandelt wird. Tolstois religiöse Wendung der späten Jahre, von Nordau als Verleumdung von Denken, Forschen und Wissenschaft bezeichnet, Tolstois Kritik des Individualismus und die Rückkehr zum Urchristentum der einfachen Leute, kurz: seine Weltanschauung »ist also nichts als Nebel, Unverständniß seiner eigenen Fragen und Antworten und hohler Wortschwall«. 77
73 Entartung 1188 ff.
74 Entartung 1204.
75 Entartung I 206-208.
76 Entatung 1214-222.
77 Entartung 1240.