Weltkrieg
351
sten, weil unideologischsten Bücher Nordaus. Es enthält, mitten in den schlimmsten Propaganda- und Vemichtungsschlachten eines unerbittlich geführten Krieges veröffentlicht, merkwürdigerweise Essays aus und über jenes Paris, dessen Eroberung durch die Deutschen in der Marne-Schlacht gescheitert war. Unter diesen Umständen bietet Nordau nahezu eskapistische Großstadtflanerien durch das gerade untergegangene Paris der Belle Epoque: Beobachtungen über die Verkehrsbeschleunigung durch Metro und Automobil, den Sport als Sieg der Körper- über die Gelehrtenkultur, die Mode und das durch sie transportierte Frauenbild, die Architektur und Straßenbeleuchtung. Über all diese Phänomene hatte Nordau schon oft geschrieben, das ist nicht neu, aber in dieser Zusammenstellung alter Manuskripte und Beobachtungen entsteht fast eine Art Nachruf auf seine Wahlheimat vor dem Krieg.
Ein Jahr später, 1916, gibt Ullstein nicht autorisiert eine um die als zu frankreichfreundlich eingeschätzten Passagen gekürzte Version von Nordaus Buch Französische Staatsmänner heraus. Erst 1919 erzwang Nordau eine zweite, korrigierte und erstmals vollständige Ausgabe. Es handelt sich wieder um einen Sammelband, nämlich eine Sammlung von Porträts aller wichtigen Politiker Frankreichs aus der Zeit der Dritten Republik, angefangen von Thiers und Gambetta bis zu Waldeck-Rousseau und Jaures. Hier schreibt Nordau als genau beobachtender, empathischer Zeitgenosse, evoziert noch einmal die großen Skandale, auch die selbst erlebten, und fügt all dies zu einer gut lesbaren politischen Geschichte der Dritten Republik. Erstaunlich ist nur, daß dieses Buch überhaupt im immer noch monarchischen Kriegs-Berlin die Zensur passierte, denn es ist deutlich, daß hier ein Anhänger der Dritten Republik schreibt.
Ganz neu geschrieben ist, im Gegensatz zu diesen Werken,. Nordaus Biologie der Ethik, die zuerst in der spanischen Übersetzung durch Nicolas Salmerön 1916 in Madrid, erst 1920 dann im deutschen Original bei Elischer in Leipzig herauskommt. Wie schon in Der Sinn der Geschichte huldigt Nordau auch in Biologie der Ethik einem Monismus (Haeckel) der Natur: Hier ist es die Ethik, nicht mehr die Geschichte oder, wie in Entartung, die Kultur, die als Teil einer alles umfassenden und bestimmenden Natur von Mensch und Welt gilt. Die Biologie der Ethik beginnt mit einer Kritik aller