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Sonderheft 2, Zur Entstehungs und Wirkungsgeschichte Fontanescher Romane
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versöhnlichen Brief zu schicken, in dem die - nun gegenstandslos geworde­nen - Befürchtungen noch einmal angedeutet sind: « Herzlichen Dank für die Osterfreude, die Sie mir heute früh bereitet haben. Und wenn es schon über­haupt wohltut, so selten Hübsches und Nettes, so Schmeichelhaftes über sich zu lesen, wie dann erst, wenn es völlig als Überraschung auftritt und, wie Platen sagt: ,als Erfüllung auftritt, wo man zu wünschen aufgehört. Ich ging nämlich davon aus, daß die Parole gegeben sei: .Schlimm genug, daß wir damit reingefallen sind, aber es noch loben - unmöglich. Und nun alle diese Befürchtungen umsonst! Schlenther hat nie besser und liebenswürdiger ge­schrieben. Und wenn ich das sage, so sage ich es nicht, weil mich das Lob kaptivierte. Lob zu hören ist freilich immer angenehm, das hängt nun mal mit der Ichheit zusammen, aber für einen leidlich verständigen Menschen fällt doch die Qualität mehr ins Gewicht als die Quantität und das oft persiflierte Verlangen der Frauenherzen, .sich verstanden zu sehn - für den Schriftsteller hängt an der Erfüllung dieses Wunsches sein höchstes Glück. »

Fontane hat Schlenthers Besprechung, wie der herzliche und dankbare Grund- ton der beiden Briefe verrät, offensichtlich wie eine Erlösung aufgenommen - « sich verstanden zu sehn », nachdem er lange genug auf Anerkennung und Verständnis vergebens gehofft hatte und sich sogar bösartigen Angriffen aus­gesetzt sah.

Schlenthers Rezension muß tatsächlich als erste Interpretationsleistung ge­wertet werden, die den Intentionen des Dichters zumindest nahekam. Nach einer feinfühligen und klugen Untersuchung der Hauptfiguren des Romans, die dem Nachweis der Wahrheit ihrer Charaktere und der Wahrscheinlich­keit ihrer Entscheidungen gilt, kommt der Kritiker dann auf jene schein­heilige und verständnislos-unverständige Polemik zu sprechen, die Fontanes Werk als sittenwidrig verurteilt hatte. Dieses öffentliche Eintreten für das Werk und seinen Verfasser war mehr als eine bloße Gefälligkeit, es erfor­derte persönlichen Mut; und für dieses vorbehaltlose Einstehen war Fon­tane dem Kollegen besonders dankbar. Schlenther schrieb: «Darum komme niemand, der ihm einen Vorwurf daraus mache, daß er menschenfreundliches Verständnis auch für solche Gotteskreaturen hat, die er zugleich mit über­legener Laune und doch mit herzlicher Teilnahme sieht und wiedergibt. Was sollen überhaupt Vorwürfe solcher Art? Ist es nicht genug, wenn ein Stück vom Alltagsleben in reiner künstlerischer Form von bezaubernder Zartheit und vollkommener Harmonie so derb und tüchtig sich darstellt, als erlebten wir es? Ist es ein Frevel, an Stelle von Romanschatten, wandelnder Pro­bleme, psychologischer Rechenexempel leibhaftige Menschen zu gestalten, deren Herzschlag wir hören, wenn ihnen ein Schicksal auf die Brust fällt?» Schlenther erkannte auch als erster die Bedeutung der Lene-Gestalt, wenn er an ihr ein « demokratisches Selbstgefühl» wahrnimmt, « das sie still und bescheiden in sich birgt, aber das sich gebietend aufrichten würde, wenn man unwürdige Ansprüche an ihre Unterwürfigkeit stellte». In einem freilich irrte

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