auch Schlenther (und nach ihm viele andere), wenn er Fontane letzten Endes doch zum Konservativen stempelt und die Quintessenz des Romans folgendermaßen beschrieb: « Auf ein Glück verzichten zu können, um des Anspruches willen, den das Allgemeine an das Besondere erheben muß, damit die bestehende Weltordnung im Gefüge bleibt - das ist die große ethische Tendenz, die aus den Vorgängen dieser Berliner ,Alltagsgeschichte‘ und ihrer realistischen Symbolik hervorleuchtet.»
Die weitere Rezeption des Romans in der zeitgenössischen Kritik spiegelt die Geschichte dieses Mißverständnisses wider. Fontane wird zum Politikum, und in der Stellung zum Fall Fontane werden die ideologischen Fronten der Jahrhundertwende im Detail sichtbar. Wechselweise wird der Dichter von den entgegengesetztesten literarischen Gruppierungen in Anspruch genommen oder negiert, er wird als Konservativer, als Traditionalist verstanden oder bekämpft, als Modernist, ja als vermeintlicher Naturalist verehrt oder abgelehnt. Es ist dies ein Kampf, der erst in unserer Gegenwart entschieden wurde. Der Beginn dieser Fontane-Rezeption, einer Kette von Mißverständnissen, liegt bereits bei Schlenther und setzt sich in den Stellungnahmen der unmittelbar folgenden Zeit fort. (Woraus auch das scheinbare Paradoxon resultiert, daß der Gesellschaftskritiker Fontane, nicht der Sittenrichter, zuerst von seinen Feinden und nicht von seinen Freunden und Verteidigern erkannt worden ist.)
Nach Schlenther meldete sich am 20. April 1888 Otto Brahm in der Frankfurter Zeitung zu Wort. In seiner Rezension, die schon den Namen einer Studie verdient, knüpft er an jene schon erwähnte Ibsen-Debatte Fontanes an und arbeitet den geheimen Zusammenhang jener Theaterkritik mit dem Roman heraus. Er kommt dabei zu der Feststellung, der Grundgedanke des Romans sei jene schon in der Ibsen-Kritik vertretene These « Ehe ist Ordnung», und glaubt, daß Bothos Entscheidung für das Herkommen (Selbstgespräch am Hinckeldey-Kreuz) Fontanes eigene Gesinnung ausspreche. «Fontane ist konservativ», so meint auch Brahm und meldet Bedenken an - um Fontane anschließend sofort gegen kleinliche Kritik in Schutz zu nehmen. « Scheinbar ist es nur die Wirklichkeit, eine nicht idealistische, schmucklose Wirklichkeit, die der Dichter schildert, und mancher Leser der guten ,Tante Voß‘, der Zeitung, in der die Erzählung zuerst abgedruckt war, entrüstete sich über die .unmoralische' Darstellung; wie so manches von tiefstem sittlichem Ernst getragene Werk erregte auch diese die Entrüstung der .Gutgesinnten', nur weil es demjenigen resolut ins Angesicht zu sehen wagte, was uns im Leben auf Schritt und Tritt begegnet. Zur Naturgeschichte des .Verhältnisses' liefert Fontane die treffendsten Beispiele, und der versteht wahrlich die Aufgabe der modernen Poesie schlecht, der ihr rät, das .Peinliche' hier, das .Unmoralische' dort aus ihrem Reiche auszuschließen; er mag nur gleich dem ersten deutschen Roman seine erstaunlichste Gestalt, dem .Wilhelm Meister' seine Philine nehmen.» In besonderer Weise nahm sich