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Sonderheft 2, Zur Entstehungs und Wirkungsgeschichte Fontanescher Romane
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fens wirkt Paul Schlenthers Würdigung des Romans, die am 29. Dezember 1889 in der Beilage der Vossischen Zeitung in seinem Geburtstagsartikel steht, vergleichsweise traditionell, auch wenn Schlenther den Realismus Fon­tanes als klassische Leistung bezeichnet: «Was in ihm lebt, läßt er andre er­leben und gewinnt dadurch eine Naturwahrheit, die in dem kleinen Roman .Irrungen, Wirrungen ihren Gipfel erreicht und diesem Werk eine klassische Bedeutung verleiht. Denn klassisch ist alles das, was die eigne Zeit eben darum überdauert, weil es von dieser Zeit kommenden Geschlechtern die lebendigste Anschauung gibt. Botho und Lene werden eines der weltlitera­rischen Liebespaare werden.»

Anerkennung wurde Fontane jedoch auch von anderer Seite zuteil, von posi­tivistischer. Otto Pniower, ein Verehrer Wilhelm Scherers (und zu späterer Zeit Leiter des Märkischen Museums), besprach «Irrungen, Wirrungen» im September-Heft 1888 von Julius Rodenbergs «Deutscher Rundschau». War schon Otto Brahm eine historische Einordnung des Werkes schwergefallen - der Diskrepanz zwischen wahrgenommener Tendenz (Konservatismus) und realistischer Kunst entzieht er sich im Grunde durch den Hinweis auf den künstlerischen Wert -, so vermeidet Pniower ausdrücklich jeden Versuch historischer Analyse mit direktem Bezug auf Scherers « unparteiische Ästhe­tik ». Pniower will «an die zu betrachtenden Schöpfungen» - neben Fon­tanes Roman auch Spielhagens «Noblesse oblige» und ein Band Novellen von Paul Heyse - «keinen anderen Maßstab legen, als den Bedingungen ihres jeweiligen Stiles zukommt». Pniower rekurriert also auf das Kunst­werk « an sich » und die literarische Leistung - ohne Bezugnahme auf Tra­dition, auf Aktualität, auf Zeitumstände und Absicht. Isoliert gesehen und gewertet wird die Leistung - und infolgedessen ist das Höchste, was diese ästhetisierende Betrachtungsweise leistet, die Aussage, daß «Irrungen, Wir­rungen » eine « dichterische Verkörperung des modernen Berlin» sei. Den­noch hat auch Pniower dem Verständnis des Werkes gedient, durch Hin­weise auf Struktur und Erzählweise des Romans. Pniower wies zuerst auf den analytischen Aufbau der Fabel hin, er würdigte auch Fontanes Kunst der Andeutung, die an die «verstandesmäßige Phantasie» des Lesers appe- liere, mit großer Beobachtungsgabe: «Nirgends sagt er direkt, wie wenig glücklich Botho in der Ehe sich fühlt und wie sehr die Erinnerung der frühe­ren Liebe an ihm nagt, er läßt es uns nur aus Symptomen schließen. Weshalb Lene später darein willigt, dem braven Sektierer die Hand zu reichen, ver­rät er ebensowenig unmittelbar, vielmehr läßt er den Leser selbst Gründe dafür suchen. Ja, als das Liebesidyll in Hankeis Ablage durch den Besuch von Freunden Bothos gestört wird, vermeidet es der Dichter nicht nur, be­stimmt zu sagen, ob es sich um eine Verabredung handelt oder nicht, sondern spricht von einer vielleicht geplanten Störung, indem er somit die Frage offenläßt, ob das Zusammentreffen auf Zufall beruhte oder nicht. Er appel-