Eigenart schließt von selbst das Hervordrängen der mehr musikalischen Wortwirkungen in der Weise der Romantiker und Nachromantiker aus. Nun aber — und das ist der Grund, der von einem ganz einzig dastehenden Techniker in Fontane reden läßt — nun aber kommt zu diesem Inneren das Äußere der Feile, einer Nacharbeit, die trotz jener Kargheit dem endgültigen Bau dieser Gedichte eine so musterhafte Form gibt, daß auch das feine Ohr eines Eichendorff befriedigt sein müßte. Fontane vermeidet mit Bedacht prunkende Versformen. Nichts steht ihm besser an als der scheinbar trivialste Knittelvers, den er dann allerdings in einer Weise künstlerisch durchdringt und seinem Gehalte anpaßt, daß Wirkungen entstehen, die alles, was je an Pathos von Stanze und Sonett geleistet ist, hinter sich zurücklassen. Ein Dichter, der das kann, ist natürlich in erster Linie zum Balladendichter geschaffen, seine Kunst ist wie gemacht für jenes schmale, immer bedrohlich eingeengte Gebiet, wo sich Lyrik und Epik mischen. Nichts entsetzlicher, als wenn die Ballade den lyrischen Hauch, den ihr die Form, der Vers geben, mißbraucht zu üppigem Schwulst, zu redseligen Gefühlsergüssen. Nur wenn der Vers ein ganz leiser mitschaifender Hilfsfaktor bleibt, kommt sein Recht zur Geltung. Niemals darf er sich selbstherrlich vordrängen, niemals darf er nun wieder lässig behandelt sein und durch böse Inversionen, schlechte Reime oder sonstige auf das Ohr wirkende Fehler sich gewissermaßen negativ bemerkbar machen. In allen diesen Dingen steht Fontane unerreicht. Seine Balladen sind knapp, bis zum Äußersten frei von Schwulst — und doch gefeilt bis in jede Tiefe hinein, bis auf den Klanggehalt jeder Silbe. Der Band bringt, was wahrlich viel sagen will, sogar eine Reihe von Gelegenheitsgedichten eigentlichster Art, und man kann sie infolge jener Eigenschaften tatsächlich noch lesen. Es sind gewiß nicht die besten Proben des Ganzen, aber sie fallen durchaus nicht so hoffnungslos ab, wie das Gelegenheitsgedichte meist tun, wenn die Laune des Moments ihnen nicht mehr entgegenkommt .“ 6
Damit ist das eigentliche Wesen von Fontanes Lyrik und seiner Dichtung überhaupt erkannt und ausgesprochen: die gestische, griffige Neugestaltung der Inhalt-Form-Beziehung. Wilhelm Bölsche, der als Theoretiker des betont auch gegen epigonale Literatur gerichteten Naturalismus um die Notwendigkeit neuer Formen aus neuem Inhalte heraus wahrhaft wußte, hebt an Fontanes Lyrik besonders deren formale und tonale Originalität hervor, ja er charakterisiert sie geradezu als eine zutiefst inhaltliche, scheinbar kunstlose und doch bis ins letzte durchgeformte Kunst, in welcher sich Inhalt und Form unter klarem Primat des Inhaltes, aber nicht ohne aktive Rückwirkung der bewußt angestrebten, aber eben mühelos wirkenden Form aufs innigste durchdringen. Die Sätze Georg Büchners aus „Dantons Tod“: „Die Staatsform muß ein durchsichtiges Gewand sein, das sich dicht an den Leib des Volkes schmiegt. Jedes Schwellen der Adern, jedes Spannen der Muskeln, jedes Zucken der Sehnen muß sich darin abdrücken “ 7 und Theodor Storms Zweizeiler „Die Form ist nichts als der Kontur, der den lebend’gen Leib umschließt “ 8 gelten voll für Lyrik und Dichtung des späten und reifen